Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
zu erhaschen. So wie es auch hier war. An diesem Ort, an dem niemand leben konnte. Wo niemand sein durfte. Aber jemand musste hier gewesen sein, um diese Dinge darzustellen.
    Völlig benommen taumelte Seth von einem Bild zum nächsten und zog die Tücher ab. Er enthüllte Bilder, die ihn verstummen ließen, sodass er trotz des Horrors keinen Schrei über die Lippen brachte. Nur ein säuglingsartiges Wimmern stieß er gelegentlich hervor angesichts dieser Dinge, die auf missgestalteten Knochen umherhüpften, die blind waren, weil ihre Lider zugenäht worden waren, die spuckten wie sterbende Katzen, die ihre schwarzen Mäuler mit spitzen Zähnen bleckten und um sich traten wie Gehängte in einem alten Wochenschaubericht, mit verknoteten Gliedmaßen und missgestalteten brüllenden Schädeln, geschoren wie Schafe oder nackt und rosa wie totgeborene Mäusebabys.
    All diese deformierten und verzerrten Körper hätte er exakt abzeichnen können. Es waren Kopien von Bildern, die sein Unterbewusstsein schon produziert hatte, die in diesem rötlichen Korridor in seinem Kopf gehangen hatten wie glänzende Kadaver im Kühlraum eines Metzgers. Gelbliches Fett, spitze Knochen, schmierig glänzendes Fleisch – der ganze unendliche Horror des Menschseins.
    Auch er hatte erste Blicke in diesen bestialischen Wahn werfen können, dorthin, wo Vernunft und Anstand verneint wurden, und das an den alltäglichsten Orten. Im Bus. Auf der Straße. Im grellen Licht des Supermarkts. Diese schreckliche Seuche, die das Hässliche, das Grausame und das Zerstörerische zum Vorschein brachte. Zwanghaften Narzissmus, nackte Gier und ungebremsten Hass, grell aufblitzenden Wahnsinn hatte er bei den Menschen um sich herum wahrgenommen. Er hatte die anderen so gesehen, wie sie wirklich aussahen, wenn man sie ihrer Fassade entkleidete. Er hatte gelernt, sie zu durchschauen bis tief in ihr Inneres, wo der Teufel sich eingenistet hatte. Die Hölle war ein Ort in dieser vibrierenden fleischigen Masse, die man für eine gewisse Zeit als Mensch ansehen konnte.
    Seth fiel auf die Knie. Tränen traten ihm in die Augen, aus Freude über die brutalen Zerrbilder, die jemand dort an die Wand genagelt hatte.
    Ein Genie.
    Er weinte angesichts dieses großen Talents. Weinte aus Dankbarkeit für das, was ihm hier gezeigt wurde. Von einem Meister, der ihm den Weg wies für sein eigenes billiges Gekritzel. Er musste ganz von vorn anfangen. Gleich wenn er nach Hause kam. Er würde die blutigen Farbergüsse an seinen Wänden überkleben und neue Wunden an die Wände und die Decken malen. Und dann würde er wieder hierher zurückkommen, jede Nacht, um sich erneut mit diesem Terror zu impfen und um zu lernen, wie er das Grauenhafte nachbilden konnte, das er auf den Straßen dieser Stadt gesehen hatte. Sein armseliges Zimmer würde ein Tempel der neuen Renaissance werden. Er würde arbeiten bis zum Umfallen. Er würde das abbilden, was ihm unmittelbar widerfahren war, die Auflösung der Identität und den grausigen Schock, der einen befiel, wenn man direkt davor stand.
    Auf allen vieren kroch er zur nächstliegenden Tür. Machte sie auf. Sah im rötlichen Licht, das vom Korridor hereindrang, Wände mit noch mehr verhüllten Wunderwerken. Er wollte gleichzeitig kotzen, ejakulieren und pissen. Es war einfach zu viel. Er musste diese verdorbene Medizin vorsichtig und gut dosiert zu sich nehmen, sonst würde er völlig den Verstand verlieren, den er noch brauchte, um seine eigenen Visionen in Öl zu malen.
    Das nächste Zimmer war das, vor dem er in seinem Traum am meisten Angst gehabt hatte. Er spähte durch die Tür und sah hohe, wunderschöne Spiegel zwischen den verhängten Bildern an den Wänden. Er wusste, dass die Visionen hinter den Decken sein Herz zum Stillstand bringen konnten. Deshalb drehte er um und wollte so schnell wie möglich diesen Ort verlassen, wo die Gemälde ihn regelrecht anschrien. Es war ein unglaublicher Lärm. Eine Kakophonie. Sie wollten alle von ihm angesehen werden und verlangten, dass er sich in ihnen verlor. Aber bevor es ihm gelang, aus dem Spiegelzimmer zu kriechen, nahm er eine Bewegung wahr. Am Rand seines Blickfelds.
    Dreimal kam es an die Oberfläche, schneller als es auf Füßen möglich gewesen wäre, aus der Tiefe des vom Spiegel reflektierten, gegenüberliegenden Bildnisses. Und verschwand wieder, wenn er sich danach umdrehte. Viel zu schnell, um ihm mit dem Auge zu folgen. Und schon war es weg. Entweder verschwand es wieder im Spiegel

Weitere Kostenlose Bücher