Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
einen Störfaktor, der ihm das Glücklichsein verwehrte. Aber es war gar kein Fluch. Im Gegenteil, es war ein Segen. Weil es ihn zum Künstler machte. Weil es wie eine Erleuchtung über ihn gekommen war, als die Alternative nur langweilige Routine und sinnlose Bequemlichkeit gewesen wäre. Er war durchdrungen von einer geradezu göttlichen Einsicht, während die normale Wahrnehmung nichts als Illusionen und unbedeutende Oberflächlichkeiten bot. Dies war die große Chance, seinem Leben endlich eine Bedeutung zu verleihen. Ihm einen Sinn zu geben. Den Eindruck wiederzugeben, den er von dieser Stadt gewonnen hatte. Von Dingen, die zu sehen er gelernt hatte oder die zu sehen ihm beigebracht worden war, von Gott weiß wem oder was.
Er wollte nicht darüber nachdenken, warum und wie diese unglaubliche Verbindung zustande gekommen war. Er durfte gar nicht nach der Quelle seiner Wahrnehmung fragen. Sie war einfach da und hatte ihn aus dem Reich der Toten zurückgeholt. Diese einsamen Nächte hatten ihn aufgeweckt. Wie ein Schlag ins Gesicht hatte es ihn getroffen und ihm klargemacht, dass nichts außer seiner Vision wichtig war. Nichts konnte mehr Bedeutung haben als der Blick auf das, was er in seinen Träumen und mit seinen eigenen Augen gesehen hatte. Er würde seine Existenz der Kunst weihen, egal, wie groß das Opfer sein würde.
Der Gedanke, bald wieder an diesen rötlich schimmernden Ort zurückzugehen und diese furchterregenden magischen Dinge zu betrachten, ließ ihn erwartungsfroh erschauern. Erfüllte ihn mit einer Fröhlichkeit, die seine Seele erzittern ließ.
19
Am anderen Ende der Leitung wurde sofort abgenommen. »Hallo?«
»Äh, Hallo. Spreche ich mit Harold?«
»Am Apparat.« Es war die Stimme eines älteren Mannes, der Wert auf eine artikulierte Aussprache legte, aber Apryl hatte sofort das Gefühl, dass jemand, der sich so knapp äußerte, auf Konfrontation aus war.
»Hm, ich rufe an wegen des Treffens am Freitagabend.«
»Die Freunde von Felix Hessen, ja. Sind Sie ein Freund?« Er sprach schnell und mit einer Autorität und einer Gewichtigkeit in der Stimme, die Apryl eher lächerlich fand.
»Äh … ich bin mir nicht sicher, aber ich würde es gerne herausfinden.« Sie lachte auf, aber die Stimme am anderen Ende schwieg.
»Entschuldigung, ich würde gern an diesem Treffen teilnehmen.«
Das Schweigen hielt an.
»Entschuldigung, sind Sie noch dran?«
Nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens antwortete die Stimme: »Ja.«
»Ich sagte … ich meine, auf der Website heißt es, dass man vorher anrufen soll.«
Schweigen.
Ihr Entschluss geriet ins Wanken. Nicht nur wegen dieses unhöflichen Schweigens, sondern auch wegen dem, was sie über Hessen wusste. Wer wollte denn ein Freund von so jemandem sein?
»Rufe ich vielleicht zur falschen Zeit an? Es tut mir leid, wenn es schon zu spät ist.« Sie wollte schon auflegen.
»Nein. Nein. Nicht zu spät«, sagte die Stimme.
»Ich darf also kommen?«
»Kennen Sie seine Arbeit?«
»Ja. Ich habe gerade das Buch von Miles Butler gelesen … «
»Pah! Es gibt bessere Quellen. Meine eigene Untersuchung ist online publiziert und kommt demnächst als gebundenes Buch heraus. Vielleicht sollten Sie damit anfangen. Es ist das ultimative Werk zum Thema.«
»Das will ich gern tun.«
»Vorabdrucke werden bei unseren Treffen verkauft. Da die Treffen aber in Privatwohnungen stattfinden und unsere Auslegungen ziemlich energisch vorgetragen werden, ganz zu schweigen von den Anmaßungen, die sich einige geladene Vortragsredner schon geleistet haben, überprüfen wir vorher alle potenziellen Zuhörer. Wer sind Sie?«
»Hm. Ich bin eigentlich nicht so wichtig. Ich bin nur zu Besuch hier und habe Ihre Website entdeckt und das Buch gekauft.«
Wieder Schweigen. Diesmal schien es allerdings mit Misstrauen aufgeladen zu sein. Der Mann machte sie völlig verrückt. »Außerdem hat meine Großtante ihn gekannt«, fügte sie vorsichtig hinzu und kam sich dabei dumm vor.
»Was haben Sie gesagt?«, fragte er hastig, kaum dass sie zu Ende gesprochen hatte.
»Meine Großtante hat ihn gekannt. Sie hat im gleichen Haus gewohnt wie er.«
»Welche Adresse?«
»Barrington House in Knightsbridge.«
»Ja, ich weiß, wo das ist«, sagte er steif. »Aber warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?«
»Ich … weiß nicht.«
»Lebt Ihre Großtante noch?«
»Nein, sie ist kürzlich gestorben. Aber sie hat ihn in ihren Tagebüchern erwähnt. Deswegen interessiere ich
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