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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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oder aus der zerbröckelnden Wahrnehmung seines völlig erschöpften Bewusstseins, das nun auf einmal in der Lage war, derartige Dinge zu sehen.
    Es war aber kein solches Ding im Raum: nichts so Großes und Dünnes mit verborgenem Gesicht. Eng umhüllt von etwas sehr Rotem. Womöglich hatte er nur sich selbst wahrgenommen. Vielleicht war sein Spiegelbild mit Reflektionen der roten Wände zusammengefallen. Mit diesen mörderischen Wänden, die sich um ihn herum ausdehnten.
    Seth flüchtete aus der Wohnung. Er rieb sich die Augen und zerrte an seinem durchschwitzten Hemd. Machte die Tür zu und schloss sie wieder ab. Ging zur Treppe, hielt aber inne, ehe er hinabstieg, unfähig, sich zu bewegen, während er hörte, wie die Türen im Innern von Apartment sechzehn sich schlossen, eine nach der anderen.
    Die Dämmerung brach an und beendete die schwere Dunkelheit, die über der Stadt gelegen hatte, durchdrang die kalte, dichte nächtliche Luft und löste sie ganz langsam auf. Doch schon der schwächste Schimmer des Tageslichts tat ihm in den Augen weh. Seine Beine waren schwer vor Erschöpfung, und er schaffte es nur mit großer Mühe, die Treppen ins Stockwerk über dem Green Man hinaufzusteigen.
    Normalerweise kam er nach der Nachtschicht in sein Zimmer zurück und warf sich aufs ungemachte Bett. Zog die klamme Decke über sich und fiel in einen tiefen Schlaf. Heute jedoch nicht. Er hatte noch etwas zu tun.
    Trotz der schmerzhaften Schwellungen und Verletzungen, die er bei der Prügelei davongetragen hatte, war er voller Tatendrang und Inspiration. Es war Jahre her, dass er sich so gefühlt hatte und so von seinen Ideen und Bildern erfüllt war. Er musste sie unbedingt sofort verwirklichen, bevor sie aus seinem Gedächtnis verschwanden.
    Nachdem er das Apartment mit der Nummer sechzehn verlassen hatte, hatte er hinter dem Empfangspult sofort damit begonnen, zwei Skizzenblöcke mit Entwürfen zu füllen. Er hatte seiner schmerzenden Hand alle Freiheiten gelassen, sich einer Art automatischem Zeichnen überlassen und eine Seite nach der anderen mit Andeutungen und Bruchstücken von dem gefüllt, was er gesehen hatte.
    Und nun musste er sich wieder den Wänden in seinem Zimmer widmen. Es gab keine Zeit zu verlieren. Sein Schaffensdrang konnte bald wieder erlahmen. Womöglich für Jahre, wenn er sich jetzt nicht mit seiner ganzen Existenz hingab. Sein Wille und seine Geschicklichkeit und alle Kraft, die seinen wunden Muskeln und Sehnen noch geblieben waren, wurden nun gebraucht, um diese Ideen zu verwirklichen. An den Wänden.
    Die Wand neben dem Bett über dem Heizkörper war übersät mit hastig hingeworfenen Impressionen von Scheußlichkeiten, die er draußen auf der Straße gesehen hatte. Aber er durfte die Linie nicht vernachlässigen. Die Perfektionierung der Linie . Der Künstler in Apartment sechzehn hatte sie trotz des ganzen farbigen Chaos und der Vehemenz des Pinselstrichs eingehalten. Das war Seth absolut klar.
    Also mussten die kläglichen Versuche, mit denen er seine eigenen schäbigen Wände bedeckt hatte, wieder übermalt werden, um eine größtmögliche Vorstellung von Weite zu erzeugen. Dann konnte er von vorn beginnen und vielleicht wieder zu den Improvisationen auf der Leinwand zurückkehren und so lange herumprobieren, bis er das Gefühl hatte, etwas von dem Geist der Meisterwerke in Apartment sechzehn eingefangen zu haben. Er musste den Schock ausdrücken, die völlige Verständnislosigkeit und die Verstrickung, die er selbst bei ihrem Anblick empfunden hatte. Er musste sich diesen Stil aneignen. Aber die Motive würden seine eigenen sein.
    Er brauchte Platz. Der Tisch und die Stühle und der Kleiderschrank hatten ihn ständig behindert, als er an dem Abend, an dem er verprügelt worden war, herumgehumpelt war, um die wieselartigen Fratzen seiner Peiniger auf die ausgeblichene Tapete zu klatschen.
    Das Bett musste bleiben. Gelegentlich würde er in den nächsten Wochen schon schlafen müssen. Ein paar Stunden hin und wieder. Nicht mehr. Er wollte keine Zeit verlieren, jetzt, wo sein ganzer Körper wie elektrisiert und er von den Fingerspitzen bis zu den Zehen von neuartigen Ideen durchdrungen war. Von Bildern, die nicht verblassen oder vergessen werden durften.
    Und wenn nur er daran dachte, dass er sich einmal für diese Gedanken und diese groteske Sicht auf die Welt geschämt hatte! Wie hatte er sich gesehnt, genau wie die anderen zu sein, hatte sein Empfindungsvermögen für einen Fluch gehalten,

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