Apfeldiebe
Zuerst hatte Kasi sich noch gewehrt, sich gewunden und gebettelt, aber Alex hob ihn einfach nach oben, bis Timi die Kette einhaken konnte. Spannend dann der Moment des Loslassens. Hielt der Haken? Konnte er das Gewicht des Kindes tragen? – Er hielt und so hing Kasi jetzt wie ein an allen vier Läufen gefesseltes Stück Wild von der Decke, den Kopf von der Schwerkraft nach hinten gebogen, sodass Kasis kleiner Kehlkopf wie eine verschluckte Pfeilspitze durch die Haut schimmerte. Gut anderthalb Meter über dem Boden hing er so und die Kinder standen daneben und tauchten ihren Gefangenen in viel zu helles Licht. Kasis Hand- und Fußgelenke schmerzten, Max bemerkte an einem Knöchel etwas Blut, das aus geröteter und wundgescheuerter Haut perlte und freute sich noch mehr. Das hier, das gefiel ihm und er fühlte sich gut, fast noch besser als bei der Sache mit der Katze.
Alex löste sich als Erster der drei aus seiner Beobachterposition. Er setzte erneut seinen Helm auf, nahm das Schwert und schritt so zu seinem Gefangenen, dabei trug er die Klinge aufrecht vor sich her und das Metall berührte Alex’ Nase und Stirn. Da er die Waffe mit beiden Händen hielt, diese Hände aber auch noch ein Taschenlampenrelikt aus einer lange zurückliegenden Zukunft mitschleppen mussten, beleuchtete Alex’ Lampe den Recken und seine Waffe nun von unten. Max konnte seine Augen nicht von dem Ritter abwenden, wollte es auch gar nicht. Timi suchte bei diesem Anblick automatisch die Nähe des großen Bruders und beide starrten auf ein Wesen, das, so von unten beleuchtet, wirkte, als ginge es über den Höllenschlund. Züngelten nicht schon Flammen um seine Füße? Stoben nicht Funken bei jedem seiner Schritte?
Alex schritt zu Kasi und der sah ein an der Decke gehendes Monster auf sich zukommen. Max’ Lampe fixierte das Gesicht des Mädchens und seine Augen wanderten zwischen Recke und Gefangenem hin und her. Er stand etwas abseits und war trotzdem ganz nah dabei, ein Schauspiel, ein Film, ein Computerspiel. Es kribbelte in der Magengegend.
Vor seinem Gefangenen angekommen, blieb Ritter Alex stehen. Ohne ein Wort zu sagen betrachtete er das Paket, das in Höhe seiner Augen vor ihm hin und her pendelte, ganz langsam. Dabei drehte sich der Gefangene um die eigene Achse, sodass er immer wieder den Kopf wenden, anheben oder erneut nach hinten fallen lassen musste, um seinen Richter nicht aus den Augen zu verlieren.
» Der schwarze Ritter konnte fliehen«, sagte Alex endlich. Er sprach langsam, betonte jedes einzelne Wort und versuchte seiner Stimme so viel Männlichkeit wie nur irgend möglich zu verleihen. Aber das Mädchen brauchte keinen donnernden Bass, um sich zu ängstigen, es brauchte keine Eisenschellen an Händen und Füßen, um nicht davonlaufen zu können, es brauchte weder Alex noch Max und schon gar nicht den kleinen Timi, um zu wissen, dass es sich nicht in einem bösen Traum befand. Kasi wusste das alles, aber Wissen allein reichte eben nicht und manchmal wusste man gar nichts. »Der Schwarze ist weg und nur du kannst uns verraten, wo er sich versteckt hält, er und sein blutrünstiges Gefolge.«
» Hört doch bitte auf«, sagte Kasi und es klang nun wirklich, dachte Max, wie das Winseln eines Mädchens. Max lächelte. Ja, weine nur, fürchte dich . »Es tut mir leid, dass, dass …« Kasi versuchte, den Kopf anzuheben. Er hatte Schmerzen, das sah jeder. Hätte er nicht so viel in seinem Kopf, dachte Max, wäre der vielleicht ein wenig leichter und so einfacher anzuheben? Kasis Kopf fiel zurück, er schluckte und die Pfeilspitze in seinem Hals hüpfte auf und wieder zurück. »Bitte lasst mich gehen, bitte. Ich …«
» Schweig, Elender!«, brüllte Alex und das Schwert sauste nieder und stoppte erst an Kasis Hals. Timi zuckte zusammen und Max’ Begeisterung verwandelte sich in Bewunderung für seinen Freund. »Was winselst du? Glaubst du etwa, wir hier auf Burg Roggenbach vergessen all eure Angriffe und Missetaten?« Das Mädchen schluckte und das Schwert hob und senkte sich einen Zentimeter. »Seit vielen Jahrhunderten verfolgt ihr uns. Ihr, ihr habt den Drachen gegen uns gehetzt«, Max kicherte und erntete einen Blick des Ritters, der ihn sofort verstummen ließ. »Wie lauten eure Pläne? Wann werdet ihr angreifen?« Die Klinge kratzte über Kasis Hals und hinterließ kleine rostbraune Krümel. Alex setzte die Spitze an Kasis Kinn. »Sprich endlich und hör auf zu flennen!« Aber dieser Gefangene aus dem Gefolge der
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