Apollofalter
siegessicherer Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. »Daran bin ich mittlerweile gewöhnt. Sie haben ja bei jedem Essen eine Flasche Wein auf dem Tisch stehen. Ich posaune es nur nicht sofort heraus, dass ich Alkoholiker bin. Die meisten Menschen finden solche Bekenntnisse nicht witzig. Und vielleicht sollte dies besser unter uns bleiben.«
Sie nickte ernsthaft. »Sie können sich auf mich verlassen. Ich verspreche hoch und heilig, ich werde Ihnen keinen Wein mehr anbieten.«
Er ließ seinen Blick schweifen. Etwas weiter weg ahnte man den Widerschein der Lichter der nächsten Nachbarn. Drüben auf der anderen Seite der Mosel sah man, wie sich vereinzelte Lichtpunkte der Autos die Straße entlang tasteten.
»Sie wohnen sehr schön hier. Das reinste Paradies.« Er machte eine Geste, die die gesamte Umgebung umfasste.
Sie seufzte auf. Es sah aus, als ob sie protestieren wollte. Doch sie entgegnete nichts.
»Dass Sie das alles so schaffen. Ich meine, ohne männliche Hilfe.« Er fühlte er sich in der Stimmung, ihr Komplimente zu machen.
»Wir Frauen würden das tatsächlich nicht allein schaffen«, bestätigte sie. »Für die schweren Arbeiten haben wir die beiden Bilowskis, unsere polnischen Saisonarbeiter. Aber wer weiß, wie lange das noch geht.«
Die beiden Polen hatte er inzwischen öfter auf dem Hof angetroffen. Sie wohnten separat in einem Anbau hinter dem Haus. »Was ist denn das Problem?«, fragte er.
Sie winkte ab. »Sie glauben gar nicht, was das jedes Mal für ein Formularkram ist, bis wir die Saisonarbeiter bewilligt bekommen. Und seit es dieses neue Gesetz gibt, muss für die Arbeiter knapp 50 Prozent an Sozialversicherungen nach Warschau abgeführt werden.« Wieder seufzte sie laut und vernehmlich. »Als ob es die Weinbauern nicht sowieso schon schwer genug hätten. Jeder behilft sich hier mit den Polen. Für ihre Verhältnisse verdienen die bei uns ein kleines Vermögen. Und für uns sind es bezahlbare Arbeitskräfte, die wirklich ranklotzen. Nun wird man sich nur noch Studenten und Rentner leisten können. Für die gelten die Sozialabgaben nicht.«
»Gibt es denn keine deutschen Arbeiter? Ich meine, bei unserer hohen Arbeitslosenzahl? Und diese Ein-Euro-Jobs, wäre Ihnen denn nicht damit geholfen?«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der totale Reinfall, sage ich Ihnen. Die beschweren sich ja schon, wenn sie sich mal bücken müssen. Die Polen sind es gewohnt, hart zu arbeiten. Sie schuften von morgens früh bis spät in die Nacht. Kennen weder Sonn- noch Feiertag.« Sie beugte sich zu ihm hin. »Welcher Deutsche, glauben Sie, würde das leisten? Die ruhen sich doch nur allzu gern auf ihrer Sozialhilfe-mentalität aus.« Sie redete sich in Rage. »Es ist ja nicht so, dass wir es nicht ausprobiert hätten. Immer wieder haben wir Versuche unternommen. Die kamen ein-, zweimal. Dann tat ihnen das Kreuz weh. Oder die Berge waren ihnen zu steil. Oder sie hatten sonst eine Ausrede. Ach, hören Sie mir auf.« Heftig griff sie nach ihrem Glas und nahm einen großen Schluck.
»Bekommen Sie keine Subventionen?«
»Doch schon«, gab sie zu. »Im Grunde will niemand, dass die Weinberge brach liegen. Das Landschaftsbild mit seinen Weinbergen soll unbedingt erhalten bleiben. Das wird uns immer wieder versichert. Ohne die Materialbahnen beispielsweise wäre eine Bewirtschaftung in den Steillagen gar nicht mehr möglich. Sie haben sicher die Schienen gesehen, die hoch in die Weinberge führen. Die Bahnen wurden zum größten Teil von Steuergeldern gebaut. Aber momentan ist eben wieder mal kein Geld in den Kassen.« Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
Er wollte nicht, dass sie sich an diesem Thema festbiss. Er wollte auf etwas anderes zu sprechen kommen.
»Sie haben eine sehr nette Tochter«, sagte er unvermittelt.
»Ich weiß«, antwortete sie. »Hannah ist die beste Tochter, die man sich vorstellen kann. Absolut pflegeleicht. Das war aber nicht immer so. Sie war ziemlich anstrengend als Kind. Alles wollte sie wissen und hat mir Löcher in den Bauch gefragt. Mama, warum ist der Mond mal rund und mal schmal? Mama, warum ringelt sich eine Schlange? Mama, warum stirbt ein Wurm, wenn man auf ihn tritt? Oder stirbt er gar nicht, wenn man das nicht mit Absicht macht? Hannah erwartete auf alles eine Antwort. Manchmal stand ich ganz schön dumm da.« Sie lachte auf. Es war ein kleines, fröhliches Glucksen. »Schon merkwürdig, was den Kindern alles durch den Kopf geht. Na ja, es
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