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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Kleinigkeit im Detail eingefangen wurde. Fotos waren ein viel besseres Gedächtnis als das menschliche Hirn, das hatte sie schon öfter festgestellt. Als alles dokumentiert war, machten die Männer sich daran, das tote Mädchen mit Hilfe einer Heckenschere aus dem Gebüsch zu befreien.
    »Ja, das ist die kleine Hannah Lingat«, sagte der Mann mit dem wilden Haar, der sich als Johannes Bick und ortsansässiger Winzer vorgestellt hatte. Seinen Hund hatte er in den Passat gesperrt, wo er weitertobte. »Also wenn ich irgendwie behilflich sein kann ...?« Mit hängenden Schultern und sichtlich angegriffen stand er da und trat von einem Bein auf das andere. Sein Adamsapfel bewegte sich heftig. Wieder und wieder hob er den Kopf. »Ich kann’s nicht fassen. Das ist wirklich die Hannah. Die Tochter von der Marion.« Dann griff er sich mit beiden Händen an die Stirn, wie jemand, der unerträgliche Kopfschmerzen hat.
    »Hubi?« Franca bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, sich um den Mann zu kümmern. Hinterhuber nickte.
    »Kommen Sie mit mir«, sagte ihr Kollege zu Herrn Bick und fasste ihn behutsam am Arm.
    Franca betrachtete das Mädchen. Sie lag jetzt auf einer Plastikplane vor dem Dornengestrüpp. Wieder sah sie eine Schrecksekunde lang ihre eigene Tochter dort liegen. Im nächsten Moment verbot sie sich, im Zusammenhang mit dieser Toten weiter an Georgina zu denken. Dieses Mädchen hatte mit ihr nichts gemeinsam. Lediglich die unausgewogenen Proportionen verwiesen auf ein ähnliches Alter. Nicht mehr richtig Kind und noch nicht ganz Frau.
    Hannah musste hübsch gewesen sein. Jetzt hing ihr das blutverkrustete Haar ins Gesicht. Offenbar war nur der Hinterkopf verletzt. Ihr Körper sah unversehrt aus. Bis auf die Kratzer und Hautabschürfungen, die vom Sturz herunter von der Mauer in den Dornenbusch rührten.
    So zart und schmal sah sie aus. So unschuldig. Unter dem dünnen roten Top zeichneten sich zwei winzige Brüste ab. Die weißen Shorts wiesen Schmutz- und Grasflecken auf. Die langen Beine steckten in kurzen weißen Söckchen und hellblauen Sportschuhen.
    Auf den ersten Blick schien kein Sexualdelikt vorzuliegen. Vielleicht war alles nur ein Unfall. Sie sah hoch zu der Mauer, auf der jetzt Frankenstein und Norbert hin- und her gingen, die Augen suchend auf den Boden gerichtet. Norbert sah aus wie ein dürrer Storch auf einer Balancierstange. Jetzt bückte er sich und hob etwas auf, das wie ein Plastikdeckel aussah.
    Hinterhuber war neben sie getreten. »Der arme Kerl ist ganz schön fertig«, sagte er und zeigte in Richtung des Passat.
    Franca nickte. »Was denkst du, was passiert ist?«, fragte sie leise.
    »Ich schätze, sie wurde von der Mauer gestoßen und fiel dann in die Dornenhecke.«
    »Einen Unfall schließt du aus?«
    Er hob die Schultern. »Es hat sich schon mal jemand das Genick gebrochen, als er beim Fensterputzen vom Küchenhocker fiel. Aber hast du nicht ihren Hinterkopf gesehen?« Hinterhuber kratzte sich am Kinn. Es gab ein schabendes Geräusch. »Also wenn du mich fragst, hat da einer kräftig nachgeholfen.«
    Hinterhubers schickes rosa Hemd wies einen Riss am Ärmel auf. Sie alle hatten etliche Kratzer davon getragen.
    »Wo habe ich dich denn eigentlich weggeholt?«, fragte Franca und dachte: Rosa steht dir nicht. Das hat was von einem Schweinchen.
    »Was meinst du?« Wie aus weiter Ferne erreichte sie sein Blick.
    »Dein Kaffee mit der Verwandtschaft. Lag was Besonderes an?«
    »Unser Hochzeitstag«, sagte er. »Der siebte. Du kannst dir vorstellen, wie sehr sich Ingrid über deinen Anruf gefreut hat. Manchmal frag ich mich, ob ich den achten überhaupt noch erleben darf.« Er fuhr sich durch die dunklen Locken und lächelte gequält.
    »Das tut mir leid«, sagte Franca. Obwohl es ihr nicht wirklich leid tat. Dieses Los teilte seine Ingrid mit vielen Polizistengattinnen. Da musste man extrem viel Verständnis aufbringen. So was wusste man, bevor man sich überlegte, einen Polizisten zu ehelichen.
    Ehrgeizig war Hinterhuber sicher schon immer gewesen. Aber auch loyal. Mit einem warmen Gefühl dachte sie daran, dass er sie nie im Stich lassen würde. Und sie war nur eine Kollegin, keine Ehefrau. Vielleicht war sich diese Ingrid überhaupt nicht bewusst, was für einen Schatz sie sich da an Land gezogen hatte.
    Frankenstein war etwas weiter in den oberhalb gelegenen Weinberg gedrungen. Jetzt bückte er sich. Verharrte in der Hocke.
    »Hier, das ist interessant«, rief er Franca und Hinterhuber zu.

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