Apollofalter
es getan hat, nicht wahr?«, kam es hart vom oberen Ende des Tisches. Eine Frage, die an Franca und Hinterhuber gerichtet war. »Und jetzt hat er sich aus dem Staub gemacht. Genau so habe ich mir das gedacht.«
»Um Gottes Willen, Mutter«, rief Irmtraud aufgebracht. »Wie kannst du denn so etwas sagen? Herr Kilian war immer zuvorkommend und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Ein durch und durch anständiger Mensch. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man solch eine Ungeheuerlichkeit auch nur denken kann.«
Aufmerksam hörte Franca dieser vehementen Verteidigungsrede zu.
»So? Und wieso ist er immer um Hannah herumscharwenzelt? Wie eine Klette hat er sich an sie dran gehängt. Es ist kein Tag vergangen, an dem die beiden nicht die Köpfe zusammengesteckt haben«, geiferte die Alte. »Weiß der Teufel, was er mit ihr in den Weinbergen getrieben hat. So wie er sie immer angestiert hat. Mir war er von Anfang an nicht geheuer. Aber auf mich wollte ja niemand hören.«
»Aber Mutter, du kannst doch nicht ...« Irmtraud kam nicht dazu, den Satz zu beenden. »Irmchen, halte du dich bloß zurück«, fiel ihr die Mutter ins Wort. »Dass du in dieses Subjekt vergafft bist, ist hier niemandem entgangen. Aber dieser Mensch hat deine Arglosigkeit schamlos ausgenutzt. Und du warst so dumm, das noch nicht mal zu merken.«
Die Dicke wurde puterrot im Gesicht. Ihr Doppelkinn bebte. Ihre Haut verfärbte sich. Das Mal auf ihrer Wange sah merkwürdig aus. Wie eine Feuerstelle, die sich entzündet hatte und ihr Gesicht überloderte.
Franca sah von einem zum anderen. Und dann betrachtete sie Hinterhuber. Harmonische Familienverhältnisse, schien sein Blick zu sagen. Hier ist wohl keiner dem anderen grün.
Die Alte stand abrupt auf. »Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen«, sagte sie. Eine Tür wurde geräuschvoll zugezogen.
Irmtraud erhob sich schweigend und trug das Geschirr hinaus. Die einzige, die sitzen blieb, war Marion. Sie hob ihr Weinglas und nahm einen großen Schluck.
»Prost Mahlzeit«, sagte sie. Ihr entfuhr ein kleiner Rülpser. Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund und versuchte zu lächeln. Dabei sah sie furchtbar unglücklich aus.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Franca leise.
Marion mied ihren Blick und starrte weiterhin schweigend vor sich hin. »Wie es einem so geht, wenn das einzige Kind gestorben ist«, sagte sie schließlich. Sie sprach schleppend. Als ob ihr das Sprechen Mühe bereitete. Wahrscheinlich bedingt durch den Alkohol.
»Wie ist Ihre Meinung über Herrn Kilian?«, fragte Hinterhuber. »Denken Sie auch so wie Ihre Mutter?«
»Ich denke nie wie meine Mutter. Schon aus Prinzip nicht.« Wieder hob sie ihr Glas und trank einen großen Schluck.
Franca warf Hinterhuber einen schnellen Blick zu. Er bedeutete ihr, dass es wohl nicht mehr viel Sinn hatte, Marion in diesem Zustand weiter zu befragen. Wein in sich zu schütten war wahrscheinlich ihre Art der Trauerbewältigung.
Marion setzte hart ihr Weinglas auf der Tischplatte ab. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich fühle mich beschissen. Einfach nur beschissen.« Sie versuchte einen zynischen Ton, was ihr aber nicht gelang. Das Zittern in ihrer Stimme konnte sie nicht unterdrücken. Die Waffe der Sensiblen, wenn sie eine Mauer um sich ziehen wollen, dachte Franca. Wenn sie die Wirklichkeit nicht mehr ertragen können. Zumindest darin waren sich Mutter und Tochter ähnlich.
»Ich kann verstehen, was Sie fühlen«, sagte Franca leise. »Ich habe auch eine Tochter. Ungefähr in dem Alter von Hannah. Ich glaube, ich würde durchdrehen, wenn man ihr etwas antun würde.«
Marion sah sie unter halb gesenkten, geschwollenen Lidern an. »So. Sie meinen also, Sie könnten mich verstehen. Aber vergessen Sie nicht, dass Ihr Kind lebt und meines tot ist. Das ist ein zwar kleiner, aber feiner Unterschied.«
Marion drehte ein wenig den Kopf und sah an Franca vorbei. Fixierte irgendeinen Punkt hinter ihr. Plötzlich begann ihr Kinn zu zittern und eine dicke Träne lief ihr über die Wange. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wer Hannah dies angetan haben soll«, brach es aus ihr hervor. »Jeder hat mir zu meiner Tochter gratuliert und gesagt, wie stolz ich auf sie sein könne. Sie war manierlich, hübsch, klug, hilfsbereit. Es gab einfach keinen Grund, ihr den Schädel einzuschlagen und sie hinter eine Hecke zu werfen. Keinen Grund ...« Nun heulte sie. Endlich. Das war besser zu ertragen als der aufgesetzte Zynismus vorher. Eine
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