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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sind’s«, murmelte sie und bat Franca hinein. Marions Kleid sah aus, als ob sie darin geschlafen hätte, zerknautscht und voller Falten. Das Haar war kaum gekämmt und wirkte ungepflegt. Ihre Schultern hingen herab. Sie war die verkörperte Trauer.
    »Frau Lingat, wir müssten uns Herrn Kilians Zimmer ansehen.« Franca wedelte mit dem Durchsuchungsbeschluss.
    »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, sagte sie mit müder Stimme und wies die Treppe hinauf. »Dort oben. Gleich die erste Tür.«
    Francas Blick ruhte einen Moment auf Hannahs Mutter. Sofort hatte sie das Bild vor Augen, wie die gepflegte, selbstbewusste Frau Sonntagnacht in diesen Raum getreten war – und innerhalb von Sekunden eine andere wurde.
    »Frau Lingat, wir haben Anhaltspunkte, dass ihr Gast pädophil war«, sagte Franca. »Ist Ihnen nie etwas Derartiges an seinem Verhalten aufgefallen? Im Umgang mit Ihrer Tochter?«
    Marion sah Franca an, als ob sie von einem anderen Stern käme.
    »Pädophil? Sie meinen, er hatte es mit kleinen Mädchen?«
    »Genau das.«
    Marion atmete tief ein und sog die Luft geräuschvoll durch die Nase.
    »Drum«, sagte sie nur. Weiter nichts. Franca wartete noch einen Moment, aber es kam keine Erklärung.
    »Ist Ihnen nie ein solcher Verdacht gekommen? Zumindest Ihrer Mutter war dieser Gedanke nicht fremd.«
    »Ja, meine Mutter.« Marion lachte auf. Es war kein frohes Lachen. »Die verdächtigt doch jedes männliche Wesen.« Unschlüssig blieb sie stehen.
    »Ist das Zimmer offen?«, fragte Franca.
    »Entschuldigen Sie, ich hole den Schlüssel.« Träge schlurfte Marion davon, um gleich darauf mit einem einfachen Zimmerschlüssel in der Hand wiederzukommen. Sie ging vor Hinterhuber und Franca die Treppe hinauf und schloss das Zimmer auf.
    »Wir kommen später noch mal zu Ihnen rein«, sagte Franca. »Wenn wir hier fertig sind.«
    Marion nickte wortlos und zog die Tür hinter sich zu.
    »Sie kann einem wirklich leid tun«, sagte Franca zu Hinterhuber, der zielstrebig auf den kleinen Schreibtisch zuging, auf dem ein Laptop lag. Er klappte das Gerät auf und schaltete es ein. Es dauerte eine Weile, bis es hochgefahren war und die Abbildung einer blühenden Wiesenlandschaft mit rotem Klatschmohn auf dem Bildschirm erschien.
    »Passwortgesichert, klar«, murmelte er und machte ein paar Eingabeversuche. »Mist, ich komm nicht rein.«
    »Für unsere Experten ist das doch wohl kein Problem, oder?«, meinte Franca.
    »Das glaube ich auch nicht.« Er grinste und klappte den Deckel zu.
    Franca sah sich in der Räumlichkeit um. Es war ein bescheidenes Zimmer, nur mit dem nötigsten möbliert. An der Wand hingen Landschaftsbilder, die selbstgemalt aussahen.
    »Sag mal, ist so etwas nicht verboten?« Franca wies auf einen präparierten Schmetterling, der mit Nadeln auf einen weißen Karton aufgespießt war. »Gehört der nicht zu den geschützten Arten?«
    »Das ist ein Apollofalter. Sagtest du nicht, Kilian sei Biologe? Da wird er schon wissen, ob er so was verantworten kann.« Hinterhuber nahm ein Buch in die Hand, das auf dem Nachttisch lag. »Nabokov«, sagte er und nickte. »Der Kreis schließt sich.«
    »Was?«
    »Er hat ein Buch von Nabokov hier liegen.«
    »Lolita?«, fragte sie. Das war der einzige Nabokov, den sie kannte.
    »Nein. Das hier sind offensichtlich seine Memoiren.«
    Franca streifte Latexhandschuhe über und öffnete die Tür des Kleiderschranks, während Hinterhuber das Bett aufdeckte und unter die Matratze schaute. Nur wenige Wäschestücke waren im Schrank einsortiert. Das meiste lag in der Reisetasche, die auf dem Boden stand. Ein strenger Geruch stieg auf, als sie die Tasche durchsuchte. Schmutzwäsche. Sie atmete flach, während sie Unterwäsche, Hemden, Socken und zusammengeknüllte Stofftaschentücher durchsuchte. Sie waren kariert und von der Art, wie eines im Weinberg gelegen hatte. Als sie weiter tastete, stießen ihre Finger auf etwas Hartes. Sie zog den Gegenstand heraus. Ein schwarzes Notizbuch mit roten Ecken. Sie schlug das Büchlein auf.
    »Dies ist das Tagebuch von Hannah Lingat«, las sie überrascht. Kilian hatte Hannahs Tagebuch bei sich versteckt. Das sprach ja wohl Bände. Neugierig blätterte sie die Seite um. »Warnung!! Unbefugte: Finger weg!«, stand auf der folgenden Seite. Franca war unangenehm berührt. Eigentlich war sie eine Unbefugte, die in die Intimsphäre eines anderen Menschen eindrang. Aber das brachte ihr Beruf nun mal mit sich. Schließlich ging es um die Aufdeckung einer

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