Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Biss hier auch von einer exotischen Schlangenart sein. Bisher haben wir noch nichts ausgeschlossen.«
    Franca runzelte die Brauen. »Exotisch? Wie sollte solch ein Tier in einen Weinberg gelangen?«
    Irene Seiler lachte verhalten. »Wie gesagt, es ist eine Möglichkeit, die man nicht ausschließen sollte. Man kann Schlangen auch aussetzen.«
    Franca warf nochmals einen Blick auf das Hämatom. »Ist das Mädchen denn an dem Biss gestorben?« Das würde dem Fall eine ganz neue Wendung verleihen.
    »Das nicht.« Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Hannah Lingat ist ihren schweren Kopfverletzungen erlegen. Sehen Sie die blauroten Verfärbungen hier an den Wundrändern?« Franca vermied es, genauer hinzusehen. »Die Vertrocknungssäume deuten lediglich auf die Einwirkung eines stumpfen Gegenstandes. Aber die Schädeltrümmerfrakturen sind klare Hinweise auf die Massivität der Gewalteinwirkung. Tatwerkzeug ist der gefundene Schieferbrocken. Da gibt’s gar keinen Zweifel. Mit dem hat der Täter mehrmals zugeschlagen.«
    »Ja. Aber wie soll ich das Ganze denn jetzt verstehen?«
    »Dass das Mädchen unmittelbar vor seinem Tod von einer Schlange gebissen wurde.«
    »Sie meinen, da gibt es einen Zusammenhang?«
    »Ich kann Ihnen nur sagen, was meine Untersuchungsergebnisse erbracht haben. Die Schlüsse müssen Sie selbst ziehen.« Die Ärztin stand mit gefalteten Händen neben dem toten Mädchen. Beinahe andächtig wirkte das. »Sie sieht jünger aus als sie in Wirklichkeit ist, nicht wahr?«
    Franca nickte.
    »Ich war ganz überrascht, dass sie schon vierzehn ist«, fuhr die Ärztin fort. »Das erklärt wahrscheinlich, warum sie keine Jungfrau mehr ist.«
    Franca durchfuhr ein Stich. Ein Teil von ihr hatte die heimliche Hoffnung gehegt, dass die Dinge nicht so waren, wie es den Anschein hatte. Ganz im Gegensatz zu ihrer Ratio.
    »Sie war also keine Jungfrau mehr«, murmelte sie. »Kann es sein, dass sie vor ihrem Tod missbraucht worden ist?«
    »Dafür gibt es nun wieder keine Anzeichen«, sagte die Ärztin. »Im Schambereich hat sie keinerlei Verletzungen. Spermaspuren haben wir auch nicht gefunden.« Die Ärztin suchte Francas Blick. »Wenn Sie mich fragen: Dem Mörder ging es um ihren Kopf. Nicht um ihren Körper.«
     

21
    Er erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Und brauchte eine Weile, bis er sich in seiner Umgebung orientiert hatte. Da war jemand an seinem Bett gewesen. Oder hatte er das nur geträumt? Er wusste nicht mehr, wie die Dinge zusammenhingen. Was war Wirklichkeit, was war Vergangenheit, was war Traum? Alles ein undurchdringlicher Strudel, in dem er sich nicht mehr zurechtfand. Er war nur allzu bereit, durch diesen Strudel hindurchzutauchen, um in einer anderen Zeit anzukommen. Inmitten von verschwommenen, verzerrten Bildfetzen fand er sich wieder, die um ihn herum schwebten und taumelten. Flatterige Segmente aus seiner Vergangenheit, wie Gebilde aus Wurzelwerk und Zweigen, die sich vom Grund eines tiefen Gewässers gelöst hatten.
    Er hatte etwas von Schuld geäußert, das wusste er noch.
    Schuld, das war ein großes Wort, das in seiner Kindheit eine Rolle gespielt hatte.
    Seine Mutter kam aus Ostpreußen. Die Leute im Dorf nannten die Flüchtlinge »Grumbeerkäfer«. Er hatte das Wort als Kind oft gehört und sich nichts dabei gedacht. Grumbeerkäfer, das waren niedliche braungestreifte Käfer, die sich von den Blättern der Kartoffelpflanzen ernährten, die in fast allen Gärten wuchsen. Als er klein war, in den fünfziger Jahren, versorgten sich viele der Dorfbewohner aus den Erzeugnissen ihrer Gärten. Ein Kartoffelbeet gehörte dazu. Im Frühjahr wurden die Kinder in den Garten geschickt, um die Larven von den Blättern zu lesen. Glänzende rosa Kartoffelkäferlarven, die vernichtet werden mussten, wollte man nicht auf die Ernte verzichten.
    In dem Haus, in dem er aufwuchs, führte Oma das Regiment. Stoisch, rechthaberisch, alles in vorgeschobene Fürsorglichkeit hüllend. So sah er es im Nachhinein. »Wer zieht denn die Kinder groß?«, war eine regelmäßig gestellte Frage an seine Mutter, die keiner Antwort bedurfte. »Wer sorgt denn für Andreas und Liane? Du vielleicht?« Begleitet von einem Blick, der genug darüber erzählte, was sie von der Schwiegertochter hielt. Dem Flüchtlingsmädchen aus Ostpreußen, das zufällig im Ort hängen geblieben war. Und nicht nur im Ort, im eigenen Haus. Man war ja ein guter Mensch und schickte niemanden weg, der sich in Not befand. Aber dass so eine den eigenen

Weitere Kostenlose Bücher