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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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Einige Tropfen Blut aus dem Dapprechter Erbe schossen mir durch die Adern und ließen mich ein wenig böse werden, und ich wusste, dass ich sie mir einmal vorknöpfen musste, Lydia, Lydia Kosslowski, Lydia, du lebst nur einmal.
    Vor der Schule versammelten sich die Abgänger von der Realschule, Lydia machte gerade ihren Abschluss zum zweiten Mal, und es war ihr scheinbar gar nichts daran gelegen, als könnte sie ihn auch noch das dritte oder das vierte Mal machen. Sie lungerte in ihren engen Jeans am Toreingang unter den großen Kastanienbäumen herum und hatte sich ein Kopftuch in die Locken gewunden und rauchte eine Kim, für Männerhände viel zu chic. Ich musste mir überlegen, was ich sagte. Mir war nur klar, DASS ich etwas sagen wollte, aber es sollte nicht als Wust aus mir herauskommen. Am liebsten hätte ich Lydia von dem Pfosten heruntergeschubst und einen Kübel auf sie draufgeworfen mit ordentlich Erde und alten verblühten Disteln und fertig. Ich wollte sie einfach ordentlich vermöbeln, das hätte mir genüge getan.
    – Lass die Pfoten von James Larry David Logan, du Butterschlampe, du Frankfurter Flittchen, oder du erlebst nicht das nächste Morgenrot!!
    Ich musste mich aber gewählter ausdrücken, sonst klappte nicht, was ich vorhatte. Ich wollte sie ja auf Dauer entmutigen, und wenn ich ihr mit der Keule kam, dann machte sie alles erst recht. Also näherte ich mich ganz unschuldig, warf mein Haar zurück, schob eine Hüfte vor und sagte:
    – Ach Lydia, so ein Zufall, hast du Abschlussprüfung heute? Na hoffentlich geht es nicht wieder in die Hose!!
    – Pfft, sagte Lydia. Wird nicht so schlimm. Ich weiß ungefähr, was drankommt.
    – Und dann, fragte ich. Wenn du es schaffst? Machst du dann Ferien? Oder arbeitest du erst mal bei deinem Vater? Hab gehört, er ist schwer in Ordnung und ein lustiger Kerl!
    – So?
    Lydia war auf einmal ganz interessiert und ließ die Zigarette sinken.
    – Ach ja? Sagt man das … na, das ist ja nett … Ja, mein Alter ist okay. Und bei ihm ist immer was zu tun. Also wenn es gut geht, spendiert er mir eine Reise nach Spanien, an die Costa Brava oder so, mal sehen. Und du, was machst du in den Ferien?
    – Keine Ahnung, sagte ich, auf einmal ganz ehrlich. Meiner Oma geht es nicht so gut, wir können nicht planen. Ich will auch gar nicht weg.
    – Das ist ja blöd. Dann hängst du ja den ganzen Sommer hier in diesem Kaff herum, und das, wo Jim jetzt ins Manöver muss …
    – Waaas?! schrie ich.
    Ich dachte, ich müsste platzen. Da war ich gekommen, um Lydia mal ordentlich die Fresse zu polieren und SIE wusste, dass Jim ins Manöver ging und ich nicht … was für eine Bloßstellung!! Er würde wegfahren, und ich wusste nicht wohin, und er hielt es nicht für nötig, mir das zu sagen, und ich würde im verschlafenen Scholmerbach herumhängen, und Lydia kriegte zur Belohnung für ihre mittelmäßige Prüfung auch noch südliche Sonne am Palmenstrand … Dafür wollte ich ihr erst recht eine reinhauen. Hoffentlich fiel sie ein zweites Mal durch und verwechselte die Bauernkriege mit der Christenverfolgung unter Kaiser Augustus und hielt die Bruchrechnung für die Wurzelrechnung und die Wurzelrechnung für das Einmaleins. Auf der anderen Seite war es aber viel besser, wenn sie weit weg in Spanien war und nicht an Jim herankonnte.
    Ich ärgerte mich grün und blau, dass ich mich verraten hatte. Ja, es schien mir beinahe, als sei Lydia ihm ebenso eine Vertraute wie ich, vielleicht vertraute er ihr sogar mehr an als mir. Dass ihr Urlaub mit seinem Manöver zusammenfiel, warf mich unendlich zurück, und ich wurde beinahe ein wenig mutlos. Ich hatte nur noch einen einzigen Trumpf: In der Öffentlichkeit küsste Jim mich, und ich trug sein silbernes Herz um den Hals.
    Doch ich war mir nicht mehr sicher, wie es in seinem Herzen bestellt war und ob womöglich meine Großmutter Apollonia recht hatte, wenn sie sagte: Kennst du einen, kennst du alle und sei auf der Hut, Marie! Sie sagen dir alle gut, sie versprechen dir Köln und Koblenz! Schau, trau, wem! Sei auf der Hut, Marie, wem du dein Herz schenkst!
    Am Abend sah ich Jim im Jonnies wieder, und er hatte sich mit einigen GI s betrunken, und er machte etwas so Furchtbares, dass ich glaubte, ich müsste an der Theke herniedersinken. Aus der Musikbox erklang: »Smoke on the Water« von Deep Purple, und Jim wankte seltsam gekrümmt auf der Tanzfläche herum, immer ein Bein nach vorne und ein Bein leicht angewinkelt nach hinten,

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