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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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dem Vieh auf das Feld gehen und wer die Mühlen mahlen? Bald stand ja alles still.
    Aber da kam eines Tages Fredo und hatte einen verstörten großen Kerl dabei mit Bart und einer schmutzigen Jacke und in Stiefeln und zerrte ihn den Zimmerleuten in den Hof. Das sei ein Kriegsgefangener, den könnten sie jetzt haben für die Arbeit, und so brachte er ihnen den Russen Nikolai.
    – Der darf net bei euch am Tisch sitzen. Merkt euch das!
    Denn Charlotte und Josef konnte Fredo nicht trauen. Wenn man sie ließ, dann brieten sie dem Russen Kartoffelklöße und ließen für ihn womöglich noch eine Sau schlachten.
    – Traut ihm nicht. Und wenn er abhauen will, dürft ihr ihn über den Haufen schießen.
    Da stand Nikolai von Wolgograd in seinen abgerissenen russischen Soldatenkleidern ohne Abzeichen und war nicht gekämmt und nicht rasiert, und Charlotte sagte:
    – Allmächtiger, na, watt han se dann mit dir gemacht?
    Und schon saß er am Tisch, und sie machte ihm eine Kartoffelsuppe mit Speck und so viel Fleischwurst, wie sie noch in der Kammer hatte, briet ihm ein Stück Brot und ließ ihn sich erst mal sattessen und seufzte.
    – Da, sagte sie zu Josef.
    – Die eigenen Söhne nehmen sie einem weg, und so einen armen Deufel bringe se einem. Wer hat dann jetzt was davon? Wie heißt dou dann?
    – Nikolai, sagte der Russe.
    Da mussten sie nun miteinander leben, und Nikolai half brav und fleißig auf dem Zimmerplatz, und die Kinder spielten mit ihm, und er schlief im Bett von Dagobert. Der war nämlich mit seinen Brüdern mit der Organisation Todt in den besetzten Gebieten in Frankreich, um zerstörte Brücken wieder instand zu setzen und den Unterbau für die beschädigten Straßen zu erneuern und Luftschutzbunker zu bauen. Womöglich sollten sie an den Atlantikwall gehen, die Feldpost kam spärlich, und der letzte Brief war aus Metz. Aber es ging ihnen besser als an der Front, und auch das missgönnten ihnen viele im Dorf. Vielleicht waren es Josefs Rosenkränze, die ihnen geholfen hatten. Man konnte es nicht wissen. Auch Hiob war immer gottesfürchtig gewesen, und dennoch hatte Gott ihm die Plagen geschickt. Josef dachte oft darüber nach, warum seine Söhne bis jetzt verschont geblieben waren, aber er hatte ja schon vier Kinder an Scharlach verloren.
    Wenn sie nur den Nikolai gut behandelten, vielleicht würde der Feind am anderen Ende der Welt auch ihre Söhne gut behandeln, wenn er ihrer eines Tages doch habhaft wurden.
    Solange ich mich erinnern kann, saß Onkel Egon auf der Eckbank und erzählte vom Krieg.
    – Ach, seufzten wir und krochen unter den Tisch. – Schon wieder die Geschichten vom Krieg, wie langweilig, wie furchtbar langweilig, das interessiert doch keinen.
    – Ach, lasst ihn doch, sagte meine Mutter Marianne, er hat Furchtbares erlebt.
    Den Krieg konnte sich keiner vorstellen. Russland und immer nur Russland. Gefangenschaft und immer nur Gefangenschaft. Hatte Onkel Egon denn sonst nichts zu erzählen? Onkel Egon und Gefangenschaft, das war ein und dasselbe, eine Schallplatte. Immer, wenn er wach wurde, war neben ihm einer gestorben, denn alle hatten die Ruhr, und sie sind elendiglich erfroren und hungers krepiert, und alle wurden entlassen, nur er nicht, aber den Russen ging es auch nicht besser, die hatten selber nichts zu fressen, die sind selber verreckt, es war alles ein Verrecken und Krepieren, Verrecken und Krepieren. Russisch hat er noch gelernt … Doswidanje, Spassiba … Man hat sich ja mit ihnen unterhalten können.
    – Denk an was anneres!, sagte meine Mutter Marianne zu Onkel Egon. – Marie hat jetzt ein Gebändel mit einem Ami!
    – Ach, mit einem Ami!, ist es denn die Möglichkeit!! Onkel Egon lachte. Kannst dou denn amerikanisch?
    – Yes, Onkel Egon, sagte ich und klebte ihm eine Prilblume auf sein Brillenetui.
    – Make love not war.
    – Was heißt denn das? Ich habe ja ein paar Brocken russisch gelernt, aber kein Englisch.
    – Das heißt … so was ähnliches wie: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Bringt Blumen … statt Gewehre … sagt mir, wo die Blumen sind … wo sind sie geblieben … Bringt der Welt Liebe … und keinen Krieg.
    – Ach ja, sagte Onkel Egon.
    – Wieso habt ihr nur den schrecklichen Krieg angefangen? Das war doch grauenhaft!
    – Ei, unser Volk war doch in Bedrängnis! Im Osten!! Und die Franzosen, die waren doch der Erbfeind … die haben uns doch vorher … wenn sich der Engländer nicht eingemischt hätte … dey waren

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