Apollonia
Augenblick lang ganz schlecht. Aber vielleicht müsste man tatsächlich mal nachfragen, nur um zu sehen, wie sehr man hinters Licht geführt wurde. Es war gut, Freundinnen zu haben. Missmutig tanzten wir auf »Die rote Sonne von Barbados«, und dann überlegten wir, nach Hause zu laufen und lieber ins Polters zu gehen in Scholmerbach. Da konnten wir uns wenigstens die Musik aussuchen.
Auf einmal erschien hinter dem Filzvorhang in der Tür mein betrunkener Jim mit einigen Amerikanern, sie hatten sich ein Taxi geteilt und waren uns gefolgt. Ich konnte es nicht glauben.
– Hällou, sagte ich schwach.
– Hey Marree!?, rief er. You running away from me??
– Och, sagte ich. Du kannst ja zur Lydia Kosslowski gehen.
– Hä? What does that mean?? Liddi? Was ick soll mit de Liddi macken?
– Naja … Manöver in der roten Sonne von Barbados, wo Spaniens Gitarren erklingen … immer wieder sonntags … was weiß ich!!
Da sagte er, ich hätte wohl von seinem Manöver gehört, und deshalb hätten sich auch alle betrunken, und er sei so unglücklich, weil er gar nicht gewusst hätte, wie er es mir sagen sollte.
– Why?, sagte ich. Der Liddi konnte er es doch auch sagen!
– Yes, sagte er, but the Liddi … I don’t care! Die … die ist nickt wicktig for mir. But you … then … dann ick misse dir for ten days … das … das mir breaking the heart …
Und um mir zu zeigen wie es ihm das Herz bricht, hielt er beide Hände auf die Brust und ging in die Knie, und ich hatte Angst, dass er gleich wieder Luftgitarre spielt.
– Aber wenn du so schrecklich traurig bist, dass wir uns jetzt zehn Tage nicht sehen, mein lieber Herr Jim David und so weiter Logan – wieso bist du dann am allerletzten Tag so furchtbar besoffen?!
– Oh … oh … my dear, rief Jim weinerlich. It was the whole … all the guys around me … all diese Jungs, … see … die alle habe so getrunke, denn ich habe das auck gemackt … das war … so blöd von mir … kännst du mir … versseeihn?
Ich war mir nicht mehr so sicher, ob ich mit ihm wirklich das ganz große Los gezogen hatte, und wenn ich mir die anderen GI s anschaute, dann war wirklich keiner so betrunken wie mein Jim. Wenigstens war keine Lydia zu sehen weit und breit, das blieb mir für heute erspart.
Lydia Kosslowski behielt recht, Jim musste in ein Nato-Camp irgendwo in die Wäldern, um gemeinsam mit den Belgiern und mit den Engländern und den Franzosen zu üben, den Westerwald, die Deutschen und die Russen unter Kontrolle zu halten und die westliche Demokratie vor den Anfeindungen der allzeit gegenwärtigen sowjetischen, antifreiheitlichen Bedrohung aus dem Osten zu schützen. Da klangen keine Gitarren und auch keine Kastagnetten auf Eviva Espania. Aber Lydia Kosslowski war nicht aus der Welt, denn sie war bei der Abschlussprüfung durchgefallen und durfte den Sommer im Westerwald bleiben.
Das freute mich, und es freute mich nicht. Lieber wäre mir gewesen, es wäre Verstand in Lydias Kopf hineingezogen und sie wäre ein wenig vom Weltlichen abgekommen. So aber lungerte sie herum und brachte alle Männer auf dumme Gedanken. Aber dann hieß es, dass in der amerikanischen Kaserne sogar Deutsche beschäftigt würden, auch wenn sie nichts gelernt hätten. Gerade suchte man noch Aushilfen für die Küche.
Ich weiß nicht mehr, wann es mir zu Ohren gekommen war, es muss irgendwo auf dem Weg nach Scholmerbach im Omnibus gewesen sein: Die Lydia hatte doch noch eine Arbeit gefunden, auch ohne Abschluss, und war jetzt in der Küche bei den Amis gelandet, und gleich am ersten Tag, da hatte sie auf der Stelle mitgemusst, für den Nachschub der Feldküche und ab ins Manöver.
Meine Großmutter Apollonia ging in aller Frühe durch Scholmerbach und brachte die Milchkanne zum Dorfplatz und wartete stumm mit den anderen Frauen, bis der Milchmann kam. Sie glaubte nicht, dass mein Großvater auf der Gefallenenliste erscheinen würde, denn sie war sich sicher, dass Klemens sich irgendwo herumtrieb und niemals an die Front gekommen war. Aus irgendeinem Grunde war sie sich sicher, dass der Herrgott ihn beschützte und wie einen alten Kumpel irgendwohin führte, wo der Hund begraben war. Mein Großvater konnte anstellen, was er wollte, der Herrgott hielt doch zu ihm und niemals zu meiner Oma Apollonia. Daher wartete sie gewissermaßen verstockt auf den Milchmann und verzog kein Gesicht, und das waren die Leute ja schon gewohnt von den Dapprechter Töchtern.
Es war aber
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