Apollonia
ich zum ersten Mal was wirklich Interessantes gesagt.
– Dou hast einen Kerl?
– Jou. Den Jim. Und die Soldaten haben den mitgenommen und auf der Struderlehe eingesperrt.
Oma lachte schon wieder. Vielleicht war sie im Krankenhaus ja plemplem geworden.
– Oma, geben dey dir eigentlich Medikamente? Irgendwelche … Drogen?
– Eysch kriege rote und blaue Pillen.
– Aha.
Am besten, ich ließ sie eine Weile in Ruhe, vielleicht musste sie ein wenig schlafen und sich beruhigen und erst wieder eingewöhnen. Immerhin hatte sie eine schwere Operation hinter sich. Da fragte sie:
– Wie sieht er denn aus, dein Kerl?
– Wie er aussieht?? Ach … wunderschön … braune Haare, braune Augen … ich meine – er ist von den AMIS ! Der redet ENGLISCH , weißt du? HOW DO YOU DO !
– Ach englisch. Die Amerikaner reden immer, als hätten sie Kaugummi im Mund.
– Naja, aber so wie wir im Westerwald reden, ist auch nicht für jedermann.
– So, da hast dou jetzt einen Kerl. Gefällt er dir dann?
– Und wie!! Ich habe auch ein Bild von ihm.
– Aha.
Dann holte ich das retuschierte Schwarzweißfoto vom Fotostudio in Minneapolis, wo er im Anzug und Schlips posiert und den Pony so gekämmt hat, dass man meinen sollte, er hätte nur ein Auge.
Meine Oma Apollonia tastete nach der Brille auf dem Nachttisch, bis ich ihr das Horngestell auf die Nase schob und sie aufsetzte und ihr das Paradekissen in den Rücken stopfte und sie ein wenig über den Bauch jammerte. Dann nahm sie das Foto, so andächtig, wie als wenn es im Umschlag Geld gab oder ein Brief kam oder ein Zeugnis, sie fasste es nur vorsichtig in den Ecken, damit es keine Flecken gab, hielt es näher ans Gesicht und dann wieder weiter weg. Dann sah es aus, als ob sie lächelte, und sie machte ein Gesicht wie in der Marienandacht.
– Ouh, sagte sie. Und dann noch mal: Ouh.
Sie drehte das Bild und dann konnte sie nicht lesen, was auf der Rückseite stand – Foto Art Minneapolis –, und drehte es wieder nach vorne, ließ das Licht aus dem Zwetschgenbaum mal so und mal so über das Bild gleiten und sagte bewundernd:
– Das es aber mal ein feiner Kerl. Ouh. Ein wunderschöner junger Kerl …
Es lag mir so viel daran, wie meine Großmutter Apollonia meinen Jungen fand, dass ich ganz feuchte Hände hatte und den Atem anhielt und überglücklich war. Dann gab sie mir das Bild zurück und sagte:
– Den behältst dou dir.
Ich nickte.
– Aber sey haben ihn eingesperrt.
– Wieso? Ist er dann ein Filou?
– Er hat mir Blumen gebracht und meysch im Jeep mitgenommen. Das hat er nicht gedurft.
– Ein wunderschöner Kerl, sagte Oma. Ja beim Barras, da muss man parieren, sonst gibt et rasch … Aska.
– Oma, darf eysch was fragen?
– Was dann?
– Was war die schönste Zeit in deinem Leben?
– Frankreych.
Wie aus der Pistole geschossen. Aber ich hatte es eigentlich schon gewusst. Frankreich war das Schönste im Leben von Apollonia Heinzmann, geborene Dapprechter. Meine Oma unterwegs mit den Zimmerleuten auf der Suche nach Arbeit, als es hier nichts mehr gab, das war im Jahre 1929.
– Wie alt warst dou denn da?
Oma sagte nichts mehr. Sie schien auf einmal eingefallen und blässlich und müde und gefiel mir gar nicht. Mir fiel der Bohnenkaffee ein und das frische Brot, das ich vom Blanse Bäcker geholt hatte. Hatte sie überhaupt schon was gegessen? Sie wehrte ab. Kein Appetit.
– Aber Kaffee? Der herrliche Bohnenkaffee?? Nicht wie im Krieg Gerstenkerne in der Pfanne gebrannt!
Da verzog sie die Lippen zu einem Lächeln, und das deutete ich als ein Ja. Ich musste Oma einfach wieder ins Leben zurücktrommeln, ich mochte es überhaupt nicht, wie sie da vor sich hin verbleichte und der Lebenssaft verdampfte, das konnte ich so nicht lassen. Also kochte ich ihr einen Kaffee, es war schon fast Abend. Aber Apollonia hatte immer behauptet, sie könne auch nachts um vier Uhr Kaffee trinken, so gut schmecke ihr der, und nur wegen dem Kaffee sei sie noch auf der Welt, und wenn es mal keinen Kaffee mehr gebe, dann wolle sie endgültig nicht mehr leben.
Ich war wohl nicht recht mit den Gedanken dabei und dachte immerzu an Jim und wartete nicht ab, bis der Kaffee sich in der Kanne gesetzt hatte. Jedenfalls hatte ich meiner Oma Apollonia den Kaffee in der hohen Opatasse gebracht und sie aus den Kissen hochgezerrt und ihr die dünnen Lippen verbrüht, und als der Dr. Samstag kam, hatte sie beinahe einen Herzstillstand von dem stocksteifen Bohnenkaffee, und
Weitere Kostenlose Bücher