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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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ihr Herz klopfte wie verrückt, und ihre schrecklichen Zöpfe hingen links und rechts herunter, und der Dr. Samstag wollte gleich seinen Arztkoffer aufreißen, und meine Mutter rief, Marie, was hast du denn wieder gemacht?
    Ich aber glaubte nichts anderes, als dass der Dr. Samstag meine Oma vor der Zeit umbringen würde, wo er doch schon mal eine Schwangerschaft mit einem Blinddarm verwechselt hatte und dem einarmigen Erwin eine Beinprothese verschrieben hatte und bei Elvira Höhn auf die gebrochene Rippe gedrückt und gemeint hatte, das wäre eine Leberentzündung. Ich wollte das Leben meiner Oma verteidigen, aber leider schickten meine Mutter und der Doktor mich hinaus, und ich begriff, dass Apollonia so etwas wie eine Intimsphäre hatte, ein Wort, das in unserer Familie überhaupt nicht vorkam. Erst mein Vater hatte uns beigebracht, dass man beispielsweise anklopfen musste. Jedenfalls ging es jetzt bei meiner Oma um das unaussprechliche »Untenherum«, und bei diesem wurde der Verband gewechselt oder irgendetwas herumgekrotzt, und da durfte ich nicht dabei sein.
    Also streunerte ich im Haus herum und überlegte, wie ich nach Wällershofen ins Jonnies kommen und Soldaten treffen könnte, die wussten, was mit Jim war.
    Mir war klar, wie lange ich für die sieben Kilometer bis Wällershofen brauchen würde und dass mir die Füße wehtun würden – aber wenn ich durch die Wälder lief, war ich schnell und niemand sah mich, und in der Kneipe konnte ich jemanden fragen, ob er mich nach Hause fuhr. Es war immer leichter heimzukommen statt hinzukommen.
    Ich lief gerne über die Felder und Äcker und Wiesen, ich lief schon als Kind immerzu durch den Westerwald, ich war auf der ewigen Suche nach dem Eulenbirnbaum, denn ich hatte Apollonia gefragt: Oma, wo bäckt das Christkind Plätzchen? Am Eulenbirnbaum.
    Oma, wo habt ihr die Katze begraben? Am Eulenbirnbaum.
    Oma, woher kommt der Rübezahl? Vom Eulenbirnbaum.
    Aber niemand wusste, wo der Eulenbirnbaum stand, und so hatte ich ihn immerzu gesucht, und wenn ich nun fragte: Wo haben sie meinen Liebsten eingesperrt, dann wusste ich: am Eulenbirnbaum.
    Da musste er verborgen sein, in der Struderlehe, dort lag er inmitten von Dornschlehen und Brennnesseln, gefesselt an eine Rakete.
    Ich nahm den Weg durch die Hinterhecke, den Kappesgarten, an den Brennnesselfeldern vorbei und durch den Waldhohlweg am Jammertal mit dem Schafsbach und rannte auf Turnschuhen, bis ich außer Atem im Jonnies ankam. Ich sollte recht behalten. Auf den Barhockern saßen Lydia Kosslowski mit ihren klirrenden Armreifen und langen Locken und den verzupften Augenbrauen und ein par GI s im schummerigen Kneipenlicht, und sie wussten haargenau, was mit Jim war.
    In den Barracks, sagten sie. In den Barracks müsse er bleiben, two weeks, und da müsse er erst mal in den Training Room und dort den Floor wachsen, und wenn auf den Floor ordentlich viel Wachs aufgetragen war, dann müsse mein armer Jim mit dem Cottonball so lange polieren, bis der Boden schimmerte und glänzte wie der junge Tag.
    Aha, sagte ich bedauernd und ergriffen und voller Mitgefühl und hingerissen, weil ich nun so etwas wie ein Schicksal erlebte und begierig auf alles war, was sich nach Leben anfühlte und nach Ereignissen, gleich welcher Art. Auch tragisch durften sie sein oder seltsam, ja, tragisch und seltsam war gut, auch ergreifend und herzzerreißend, alles sehr willkommen. Mir den armen Jim auf Knien vorzustellen, wie er Böden schrubbt und poliert, weil er aus einem Kriegsfahrzeug eine Blumenschaukel gemacht hatte, das rührte mich bis auf den Grund meiner Seele. Und ich konnte nichts tun!
    Ich überlegte, einen seiner Freunde, den langwimperigen Rick mit den kohlschwarzen Augen, zu bitten, ihm einen Liebesbrief zuzustecken. Aber Rick mit seiner seltsam weißen Haut und den sehr dunklen Sommersprossen musterte mich eigenartig kühl.
    – He’s doing always that shit. Take care, girl.
    – Hä?!
    Was hatte er da gesagt? Mein Jim machte Shit? Ich soll aufpassen? MEIN Jim, der nichts weiter gemacht hatte, als mir ein Auto voller Blumen zu bringen? WAS war daran falsch? So ein Idiot, dieser Rick, verschlagener Blödmann, was sollte diese Bemerkung?
    – Der meint bloß, sagte Lydia Kosslowski, dass der Schim nicht alles so ernst nimmt.
    – Woher weißt DU das denn?
    Ich konnte unmöglich Lydia Kosslowski als Expertin für meinen Jim anerkennen, und ich konnte es nicht ausstehen, wenn sie Schim sagte.
    – Ich kenn die Amis eben

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