Apollonia
eine Nierenschale auf dem Nachttisch und Fachinger Wasser und Verbandsmull für die Gemeindeschwester, und einen alten Klostuhl hatten sie herbeigefahren, der war noch von Großtante Rosalia. In der Küche hatte ich schon mal den Bohnenkaffee zurechtgestellt und den Tauchsieder in den Blechsiedetopf getan, und meine Brüder hatten im Konsum die neueste »Sieben Tage« und die »Neue Post« gekauft mit einer Sonderausgabe zur Geburt der Prinzessin Viktoria von Schweden.
Warmes, frisches Brot duftete durch die Küche, denn Oma und ich liebten das frische Brot vom Bäcker und selber gekochte Kirschmarmelade. Es war also nicht so, dass sie nichts vom Leben hatte. Das hat sie nur immer behauptet.
Sie genoss das frische Brot, und sie genoss die Kirschmarmelade und sie genoss am Sonntagmorgen den Radetzkymarsch im Radio. Dann war sie fröhlich und sang ein wenig, aber sie gab es einfach nicht zu. Das Leben ist ein Scheißdreck, sagte sie weiterhin.
Das frische Brot sprach dagegen. Der Bohnenkaffee sprach dagegen. Der Wandbehang sprach dagegen. Im Radio lief das Wunschkonzert, und jemand sang: »Oh, Pardon, sind Sie der Graf von Luxemburg?«
Ich drohte die Ankunft Apollonias zu verpassen, die Uhr tickte, und ich musste in den Nachmittagsunterricht nach Wällershofen, und der Krankenwagen war immer noch nicht da. Aber es half nichts. Der Omnibus kam, und ich musste zurück in die kleine Burgenstadt, wo die Schule war, und der Doktor und das Kaufhaus Schwenn, und sollte das Versmaß mittelalterlicher Gedichte auseinandernehmen, die mich so wenig interessierten wie irgendetwas in diesem Jahr, aber ich musste es hinter mich bringen.
Bald waren Ferien.
Kaum waren am Nachmittag die beiden unerträglich langen Stunden zu Ende, schon lief ich aus der Schule und hätte ihn beinahe nicht gesehen. Da stand vor dem Haupteingang ein Jeep der U.S. Army mit offenem Verdeck, und darin saß grinsend Jim in seiner Uniform und drückte kräftig auf die Hupe.
Er winkte und strahlte, und als ich näher kam, saß er am Steuer und hatte den Schoß voller kunterbunter Sommerblumen, die auf dem dunklen Oliv seiner Hosen leuchteten und prangten.
– Come in!, rief er und zeigte auf den Beifahrersitz, und obwohl es doch verboten war, konnte ich nicht widerstehen und warf vor all meinen Schulfreundinnen stolz meinen Schulranzen auf den Rücksitz und fuhr mit ihm davon, durch Wällershofen über Wiesen und Äcker bis unter eine Linde auf dem Haselbacher Feld. Dort hielt er an und machte den Motor aus und strahlte. Er lehnte sich zurück und griff feierlich unter sein olivfarbenes T-Shirt und holte ein ovales Emblem heraus, das um seinen Hals baumelte und seinen Namen trug und ein paar Zeichen.
– What is it?, fragte ich.
– Babe …, sagte er. – It’s my dogtag … – Hundemarke.
Ich las: US -Army – FlakBatt45 – Logan James L D 23-37-9845 O NEG CATHOLIC
– For you. Du sollst du mir nie vergessen. Ick liebe dich.
– But … but you get problems … when …
– Yes, … sagte er. Er könnte ja sagen, er hätte die Marke verloren, und dann würde er eine neue gestanzt bekommen.
Da saß ich in meinem Jeep voller Blumen, die vor dem Natogrün hell und bunt leuchteten und in der Hand eine Halskette, wie sie keine hatte.
Jim sagte: – Love … forever … true.
Da wäre ich beinahe gestorben, da war es um mich geschehen, da blühten alle Blumen auf den Wiesen erst recht auf ihren Stängeln, und die Beeren und Wurzeln schossen ins Kraut. Wie lange war »forever«? Was bedeutete »true«?
Was war Soldatentreue, wenn ein Amerikaner so was sagte? War das so viel, wie wenn Elvis ein Lied sang? War es so viel, wie wenn ein Zimmermann einen Spruch in einen Dachbalken schnitzte, oder war es so viel, wie wenn ein Betrunkener bei Honiels einen Schwur tat?
Wie lange war: forever?
– Ick bleib in Doitschländ … maybe … November … but …
– Ach du Schreck. November … und dann??
Jim grinste.
– We see …? Maybe … Germany … so scheen … vielleickt … man can … stay a bisse … longer …?
– Oh … oh …
Das schien mir wunderbar, und eine Hoffnung öffnete sich wie eine Sonne, die ihren Lichtglanz über die Felder warf. Selig strahlte ich ihn an, und das Blech seiner Hundemarke an meinem Hals schien zu funkeln und blendete mich im linken Auge. Wir waren füreinander bestimmt. Nun wusste ich es. Wir waren füreinander bestimmt.
Ich küsste ihn überschwänglich und traf dabei mit dem
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