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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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dass man sich dafür umbringen musste, es gab wieder hier und da zu tun, das konnten aber auch ebenso seine Brüder machen, die rissen sich um jeden Balken und jeden Hammer, da wollte er ihnen nicht im Wege stehen und konnte noch ein wenig liegenbleiben.
    Das brachte den alten Gustav ins Harnisch, und er wollte meinen Großvater Klemens mit der Mistgabel aus dem Bett jagen, und auch meine Großmutter Apollonia hätte es lieber gesehen, wenn er sich beizeiten aufgemacht und wenigstens im Stall geholfen hätte oder auf dem Zimmerplatz ein paar Kisten genagelt, nur um den Willen zu zeigen.
    Aber der Dapprechter Gustav fand, es habe jetzt ein Ende mit der Faulenzerei. Im Jammertal hat der Steinbruch wieder aufgemacht, denn in Koblenz vergrößerten sie die Kasernen, und über Ellingen wollten sie die Reichsstraße ausbauen, und die Brücken sollten erneuert werden. Da waren doch Aufträge in Sicht, da musste man sich doch bemühen, da musste man doch Interesse zeigen und sich kümmern!
    Auf dem Haselbacher Feld bauen sie Baracken, das hatte alles mit der neuen Partei zu tun, die seit 33 an der Macht war, da kam doch Bewegung in das Land. Seitdem sah man Arbeitsdienstler auftauchen, ein Haufen dünner und halbverhungerter junger Kölner und Frankfurter erschien mit Spaten und in Arbeitskluft, die machten sich an den Straßen zu schaffen, ja, es hieß sogar, sie sollten in die Sümpfe ziehen und Kanäle bauen und die vermaledeite Wiese trockenlegen, wo immer die Heuwagen umfielen. Man sprach sogar davon, sie wollten auf dem Haselbacher Feld einen Reichsarbeitsdienst aufbauen!
    Da kam doch mal Hoffnung über das Land!
    Denn es war ja furchtbar, wie die anderen Völker Deutschland zugesetzt hatten, und wie sie es in ein Unglück und in eine Schande hineingebracht hatten. Nach dem verlorenen Krieg war unser schönes Deutschland einer solchen Schmach ausgesetzt gewesen.
    Doch jetzt ging es wieder aufwärts mit Deutschland, und es war Schluss mit der Herumlungerei, und auch für den Zimmerplatz gab es wieder Arbeit, und wenn die Arbeitslosigkeit hier ein Ende hatte und die Leute wieder in Lohn und Brot kamen, dann wurden auch wieder Häuser gebaut, dann sah es hier ganz anders aus, mit der neuen Partei und der neuen Regierung.
    Da wehte ein anderer Wind über den Westerwald.
    Hanjokebs Heinrich und Kebbeleins Fredo hatten das als Erste verstanden.
    Sie waren dabei vom Anbeginn. Die neue Partei gefiel ihnen ganz außerordentlich. Die Bewegung fuhr wie ein mächtiger Sturm durch das Land, und Heinrich und Fredo waren überzeugt von der Sache mit glühendem Stolz und Eifer. Und da sie nun zur Partei gehörten, hatten sie auch gleich ein ganz anderes Auftreten und kamen schon ganz anders daher, von einem auf den anderen Tag. Das lag vielleicht an den funkelnagelneuen Uniformen mit den Mützen, die um einiges breiter waren als der Schädel, und an den Stiefeln, die so viel besser waren als die genagelten Schuhe.
    Damit hatte es ein Ende, wenn man in der Partei war.
    Dann konnte man endlich auch mal »ein Leben führen«. Wenn man in der Partei war, ging man zu den Treffen, wusste um die geheimen Pläne, konnte im feinen Lokal essen und trinken, so viel man wollte, und ein Motorrad fahren und sogar manchmal ein Auto. Vor allem aber musste man die Überzeugung haben und sich um sein Dorf bekümmern!
    Das war in Scholmerbach, zugegeben, nicht leicht, denn in Scholmerbach wählten sie Zentrum, und zwei Kommunisten gab es auch, und wie stur die waren. Das größte Problem war, dass die Partei sich in Kleppach ansiedelte und Siegfried immer Reden hielt, und Siegfried konnte keiner leiden und das Schlimmste: Siegfried war auch noch evangelisch.
    Natürlich fanden es alle gut, dass die verhungerten Kölner und Frankfurter jetzt kamen und die schrecklichen Sümpfe trockenlegten. Aber warum wollte die neue Partei verbieten, dass man zur Prozession die Fronleichnamsfahnen trug? Warum sollten sie der Muttergottes keine grünen Kränze winden dürfen? Das war doch seltsam. Das war doch unchristlich. Natürlich war es großartig, dass der Steinbruch im Jammertal wieder aufgemacht wurde und alle Arbeit hatten. Aber als das schreckliche Großmaul Siegfried in Uniform mit dem Motorrad auf den Dorfplatz gefahren kam und seine Hakenkreuzfahne ausrollte und aufstellte und sein Pult hinstellte mit Tannengrün und drauflosschrie und schwadronierte und mit der Faust drohte, man müsse den Franzosen Verdun heimzahlen, da schwiegen die Zimmerleute und

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