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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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geschehen würde. Das wusste man nie, wenn es Nacht wurde über Scholmerbach.
    Eine Weile hörte man nur das Rollen der Bäume von den Ständern, das gewaltige Getöse der Stämme, wenn die Eisenpfähle gelöst wurden, wie sie vom Stapel herunterdonnerten auf den Vorplatz und die hölzernen Leiber umeinanderschlugen. Es hieß, dass Onkel Balduin einmal darunter begraben wurde. Die Stämme sollten meinem Großonkel Balduin das Rückgrat dreimal brechen, aber der Herrgott hat es verhindert, die Rosenkränze meines Urgroßvaters Josef haben es verhindert, der Herrgott war nämlich stärker als die Bäume ringsumher.
    Josef hielt es für rechtens, niemals gegen die göttliche Allmacht zu murren oder sich seinem göttlichen Ratschluss zu widersetzen. Wenn der Herr etwas in seiner unergründlichen Weisheit beschlossen hatte, dann durfte der Mensch nicht urteilen, denn schon in der Bibel sagte Hiob: »Wer bin ich, deine unermesslichen Pläne zu verstehen, sie sind zu hoch für mich und übersteigen meinen Verstand«, und bei Jesaja stand: »So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.«
    Als der Herrgott sich entschlossen hatte, vier ihrer Kinder durch den Scharlach zu sich zu holen, da war auch das sein unergründlicher Plan gewesen, der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Und der Herr hatte noch unergründlichere Pläne in diesem Jahr, und niemandes Verstand reichte aus, um zu begreifen, was nun kommen sollte.
    Mein Urgroßvater Josef betete und betete.
    In 1939 verkündigte Adolf Hitler an irgendeinem Tag, dass ab 5.45 Uhr zurückgeschossen werde, und in Scholmerbach und Linnen und Hellersberg und Ellingen und Wennerode und überall flatterten die Einberufungsbefehle stündlich ins Haus.
    In den Dörfern ließen sie furchtbar die Köpfe hängen, und alle fragten sich:
    Was kommt jetzt?
    Mein Großvater Klemens aber hatte Glück, denn die Leute vom Zimmerplatz wurden wegen der Aufrechterhaltung der staatswichtigen Produktion von der Einberufung verschont. Da Dagobert, Konrad, Hannes und Ewald bereits am Westwall arbeiteten, blieben Balduin, Willi und Klemens und der alte Josef in Scholmerbach zurück, alle anderen mussten ein oder zwei Söhne hergeben, und wenn einer fünf Söhne hatte, dann musste er alle fünf Söhne schicken. Kaum war der Einberufungsbefehl im Briefkasten, da waren sie auch schon fort.
    Meiner Großmutter Apollonia wäre es recht gewesen, wenn Opa mit zum Westwall gezogen wäre, weil man dort ein ordentliches Geld verdiente, aber überall, wo es Geld zu verdienen gab, war mein Großvater nie zu sehen gewesen. Wenn etwa Onkel Konrad im Winter ins Ruhrgebiet ging, um in den Fabriken zu arbeiten, dann konnte man sicher sein, dass sich mein Großvater mit dem Schlechtwettergeld zufriedengab und gemütlich zu Hause blieb.
    Da er nun einmal in Scholmerbach war und es die anderen Männer erwischt hatte und sie gleich an die Front mussten, ab nach Polen, und die anderen Richtung Belgien und Niederlande, musste Klemens nun seinen Mann stehen und den Leuten die Getreidesäcke packen und die Witterungsschäden in den Häusern reparieren und die bestellten Vordächer aufstellen und neues Holz zum Trocknen lagern.
    Leider hatte mein Großvater Klemens die Getreidesäcke nicht recht aufgestellt, und sie stürzten um, und wenn er ein Vordach zusammenfügte, dann stimmte der Dachüberstand nicht, und wenn er Balken ablängte, machte er so viel Verschnitt, dass der alte Josef mehr Brennholz für die Dampfmaschine hatte als im ganzen Winter davor.
    – Der stellt sich an, sagte Willi. Man kann ihn nicht gebrauchen, sagte Balduin.
    – Ja, weil er nicht will, sagte Willi. Wenn einer nicht will, dann kann man sich auf den Kopp stellen. Er schafft dagegen!
    Da die Arbeit aber gemacht werden musste, nahmen sie Klemens mit, ob er nun wollte oder nicht, und wie er sich auch anstellen mochte, dann konnten sie ihn nicht bei der Dampfmaschine liegen lassen. Denn er konnte wenigstens was festhalten, den Gaul oder einen Balken oder die Zimmermannsbleifeder, immerhin hatte er ja noch alle seine zehn Finger. Großonkel Balduin hatte nur noch sieben Finger und Onkel Ewald nur noch sechs, und Onkel Willi hatte an einer Hand nur noch den Daumen. Die fehlenden Finger hinderten sie aber nicht am Arbeiten. Mit seinem einen Daumen konnte Dagobert immer noch einen Nagel festhalten und die Wasserwaage halten, er konnte damit ein Lot pendeln lassen

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