Apollonia
Mörser:
– Kurt, weißt du was: Dein Essen schmeckt mir nicht mehr!!
Kurt wollte ihm auch keines mehr kochen und sagte:
– Dann iss eben woanders, mir doch egal.
Fredo schimpfte:
– Jetzt leg deysch doch nicht mit ihm an, dou hast gut an uns verdient, hör mal!
Und der Feldmeister Schröder meinte:
– Das hat doch keinen Zweck, hört auf. Kurt, du darfst keinen Feindsender hören, und du darfst keine Wehrkraftzersetzung betreiben, du darfst auch keine Reden gegen den Führer halten, ganz egal, wie uns dein Essen schmeckt.
Und Malwine sagte, es könnte genauso gut der Klemens gewesen sein oder der Julius, die würden auch immer am Volksempfänger herumdrehen …
– Dann gehen sie eben alle ins Zuchthaus!, schrie Gauleiter Mörser. Wo kommen wir denn da hin?!
– Ihr könnt jeden einsperren, der die Wahrheit sagt, sagte der Kurt Siebers da. Aber ihr verliert den Krieg doch.
So musste Kurt Siebers ins Zuchthaus nach Diez, es half ihm alles nichts, und sie hatten kein Erbarmen mit ihm, denn wer so frech war und gegen die Sache, dem gehörte es nicht anders. Das ließ die Partei sich nicht bieten, schließlich gab es noch andere Lokalitäten in Wällershofen und auf dem Mäusestein, und im Walprechter Hof konnten sie genauso einkehren. Schließlich und endlich hatte auch der Reichsarbeitsdienst auf dem Haselbacher Feld ein herrliches Kasino mit einem schönen, glänzenden Boden, da legte Malwine mit dem Hauptmann Tomaczek eine flotte Sohle aufs Parkett, und Feldmeister Schröder konnte auch mal in der Villa einen Empfang geben. Dem Kurt Siebers in der Waldeslust, so hatten sie seit langem das Gefühl, waren sie offenbar nicht genehm für seine Tapisserien und Kopenhager Bordüren und seine Separees. Man konnte ihm nicht hinter die Stirn sehen, man wusste nicht, was er dachte, ein zwielichtiger Bursche, und wie er immer seinen Bart zwirbelte. Kurzum, sie hatten sich schon länger nicht mehr wohlgefühlt bei ihm.
Das hatte er nun davon: In Diez würden sie ihn wochenlang durchprügeln und ordentlich grün und blau schlagen. Da würden sie ihm, bei Wasser und Brot und auf der kalten Pritsche, schon beibringen, was es hieß, der Partei zu widersprechen. Da konnten sie keine Gnade walten lassen, denn alles musste sein Recht haben, und den Kurt musste man mal ordentlich Mores lehren.
Die Straßen von Scholmerbach wurden zertrampelt von den Dorfleuten und von den Menschen aus den Städten, die bei den Bauern etwas zu essen suchten, von russischen Zwangsarbeitern und von vereinzelten Soldaten, die zum Heimaturlaub von der Ostfront kamen.
Meine Großmutter Apollonia führte ihre Kühe Lore und Bella durch das Dorf, als sie auf einmal vor sich einen Gaul sah, dürr wie ein Gerippe, mit nichts als einem zerschlissenen Halfter und einem abgerissenen Riemen um den Leib, der am Boden schleifte. Apollonia ließ Lore und Bella los, die weitertrotteten und den Weg zum Stall alleine fanden.
– Na …, sagte Apollonia. Haben sey deych vergessen? Bist dou fortgelaafen? Dou host jo nur noch en Rieme um de Bauch.
Aber das Pferd konnte ihr keine Antwort geben, und da sich niemand kümmerte und es auch nicht vor ihr davonlief, nahm Apollonia vorsichtig das Seil und sagte:
– No wott da? Seys jo so dünn! Weiß dou was, eysch hun noch ein Säckche Hafer in der Scheune. Kemmsde mol met mir met, kriegste auch mal ordentlich was zu fresse … du schönes Gäulchen du … musst ja net verhungern … wer weiß, was dir passiert ist, da draußen in der Weltgeschicht … do ist jo nur Schlechtigkeit rundherum … kommst dou met mir met.
Der Kriegsgaul, von dem man nicht wusste, ob er eine Feldküche gezogen hatte oder eine Haubitze oder eine Kanone oder ob er den Sümpfen von Wlodawa entkommen war oder den Bombardierungen der Militärtransporte zur Westfront, der ließ sich von Apollonia einfach mitnehmen in den Stall.
Meine Großmutter glaubte, noch nie so etwas Großes und Besonderes besessen zu haben wie das dürre, klapprige Pferd. Es hatte einfach dagestanden, elend und erbärmlich, und musste gefüttert werden, und wenn sie, Apollonia, sich des Tieres erbarmte, dann sollte es auch ihr gehören, ihr alleine. Dann durfte sie es behalten.
Meine Großmutter band also das Pferd neben Lore und Bella an einen Eisenring an die Stallwand und gab ihm Heu und Hafer und einen Eimer voll Wasser und Äpfel und eine Rübe vom Feld noch dazu. So viel hatte sie keinem Frankfurter gegeben, der nach Essen fragte. Das Pferd bekam
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