Aprilgewitter
Gäste empfing. Wie immer hatte sie eine große Zahl an Damen eingeladen. Doch zu Lores Verwunderung befand sich auch einer der jungen Offiziere darunter, der ihr in Grünfelders Villa vorgestellt worden war, ohne dass sie sich seines Namens hätte entsinnen können.
Hasso von Campe war es durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zur Gastgeberin gelungen, eingeladen zu werden. Auf seine Bitte hin hatte Frau von Stenik ihn am Tisch zur Linken Lores eingeteilt. Kaum saßen sie, begann er auch sofort ein Gespräch. In dem Glauben, ihre adelige Abkunft sei durch ihren bürgerlichen Vater verwässert worden, behandelte er sie allerdings wie ein Mädchen, das er in einem Biergarten kennengelernt hatte.
»Trinken Sie ruhig ein Glas Wein. Davon werden Sie gewiss nicht betrunken!«, forderte er sie auf und griff trotz des Dieners, der dafür bereitstand, nach der Flasche, um ihr einzuschenken.
Gerade noch rechtzeitig verdeckte Lore ihr Glas mit der Hand. »Ich hätte lieber ein Glas Limonade. Sie nicht auch, Komtess?«
Nathalia nickte und bedachte den Offizier mit einem spöttischen Blick. »Sehr gerne, Frau von Trettin. Am liebsten wäre mir eine mit Waldmeistergeschmack!«
Sofort eilte der Diener herbei und brachte das Verlangte. Das leere Weinglas nahm er zu von Campes Ärger mit.
Entschlossen ging der Offizier erneut zum Angriff über. »Sie sollten mit Komtess Retzmann nicht unbegleitet durch Berlin flanieren, Gnädigste. Das ist für eine junge Dame wie Sie nicht ungefährlich. Erlauben Sie mir daher, Sie nach Hause zu geleiten. Stehe Ihnen selbstverständlich auch für andere Ausflüge zur Verfügung.«
Noch während Lore überlegte, wie sie dieses unverschämte Ansinnen zurückweisen konnte, begann Nathalia zu sticheln. »Ist es hier in Berlin wirklich so gefährlich, sich auf die Straßen zu wagen? Die anderen Damen saßen doch auch ohne Leibwächter in ihren Wagen.«
»Wenn man weiß, welche Straßen man benützen kann, ist es selbstverständlich ungefährlich. Nur sind Sie und Frau von Trettin neu in der Stadt. Könnten in eine schlecht beleumundete Gegend geraten! In manchen Stadtteilen wimmelt es von Schurken und Räubern«, erklärte von Campe hochmütig.
»Bei Fahrten durch solche Gegenden sind wir immer in Begleitung«, plapperte Nathalia fröhlich weiter. »Es gibt nämlich einen anderen Offizier, der mit uns kommt. Heute ist er nicht bei uns, weil wir in den besseren Straßen Berlins unterwegs sind.«
Lore wollte Nathalia noch bremsen, um die Leute nicht auf Gregor Hilgemann aufmerksam zu machen, sagte sich dann aber, dass es gefährlicher wäre, das Mädchen zu unterbrechen, als es reden zu lassen. Übelwollende Damen, und davon gab es hier wahrlich genug, hätten ihr wahrscheinlich sofort ein Verhältnis mit diesem angeblichen Offizier nachgesagt.
Von Campes Gedanken gingen in eine ganz andere Richtung. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass es sich bei Lores Begleiter um Friedrich von Trepkow handelte. Verärgert, weil er glaubte, hinter seinen Wettpartner zurückgefallen zu sein, brauchte er ein paar Minuten, um seine Gedanken zu ordnen.
Dann ergriff er von neuem die Initiative. »Habe gehört, Ihr Mann will zum Garde-Ulanen-Regiment kommen. Guter Entschluss. Ist das beste im ganzen Heer!«
»Wir haben ihn vorhin bei der Kaserne abgesetzt!« Erneut kam Nathalia Lore zuvor.
Vorlautes Gör! Kannst du nicht den Mund halten, wenn Erwachsene reden, fuhr es von Campe durch den Kopf.
Lore las ihm diesen Gedanken von der Stirn ab und verdeckte ihren Mund mit der Hand, damit der Rittmeister ihr Lächeln nicht sah. Wie es schien, erwies sich Nathalias Anwesenheit als der beste Schutz gegen diesen aufdringlichen Menschen.
»Die Komtess hat recht«, sagte sie zuckersüß. »Wir haben meinen Mann bis zur Kaserne begleitet.«
»Wird vorerst sehr beschäftigt sein. Grundausbildung, Theorie, Manöver, Paraden. Da werden Sie ihn so rasch nicht wiedersehen. Um ein guter Offizier zu werden, ist er zu alt. Hätte als Kadett beginnen müssen.«
Erneut stieß Lore der überhebliche Tonfall des Mannes übel auf, und sie überlegte, wie sie ihn loswerden konnte. Da er der einzige männliche Gast war, beschlich sie der Verdacht, Frau von Stenik könne mit ihm im Bunde sein, um sie erneut in ein schlechtes Licht zu rücken. Eine Freundin konnte sie diese Dame wirklich nicht nennen.
Kurz darauf sah sie ihren Verdacht bestätigt. Frau von Stenik erwähnte ihrer Tischnachbarin gegenüber Fridolins Namen, und sie
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