Aprilgewitter
gehört. Er klingt, als wäre die Familie frisch geadelt worden.«
Die Dame hatte den Sohn eines erst kürzlich in den Adelsstand erhobenen Mannes geheiratet, und so empfand Mary diesen Ausspruch als deplatziert. Daher antwortete sie nicht ganz so verbindlich, wie es an und für sich ihre Art war. »Ganz im Gegenteil, gnädige Frau! Meines Wissens entstammt Komtess Nathalia einer uralten niedersächsischen Adelsfamilie, die früher Retzmann von Steenfleeth genannt wurde. Ein jüngerer Sohn begründete diese Linie der Retzmanns und verzichtete auf den Namen des Familiensitzes. Jetzt ist die Komtess das vorerst letzte Glied dieser Sippe und damit die Universalerbin des Retzmann’schen Besitzes, der gewaltig sein soll. So ist die Komtess eine der größten Anteilseignerinnen beim Norddeutschen Lloyd, besitzt ein Gut in Oldenburg und etliche weitere Liegenschaften im norddeutschen Raum.«
Marys Bericht machte bei ihren Kundinnen Eindruck, und eine fragte, wie Lore denn zu so einer Bekanntschaft käme.
»Freifrau von Trettin, die damals noch nicht verheiratet war, rettete der Komtess auf dem vor fünfeinhalb Jahren in der Themsemündung gesunkenen NDL -Schnelldampfer
Deutschland
das Leben. Ihr Großvater, Freiherr Wolfhard Nikolaus von Trettin auf Trettin, hatte seinen Freund, Graf Retzmann, gebeten, sich seiner Enkelin auf der Reise nach Amerika anzunehmen. Bedauerlicherweise kam Graf Retzmann auf der
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um, doch die damaligen Ereignisse haben eine enge Freundschaft zwischen der Freifrau von Trettin und der kleinen Komtess begründet.«
Die fassungslosen Blicke ihrer Kundinnen amüsierten Mary. Doch da sie damit kein Geld verdienen konnte, forderte sie Frau von Schneider auf, mit in das Anprobezimmer zu kommen. Auch dort wollte die Dame mehr über Nathalia und Lore erfahren, und Mary nahm die Gelegenheit wahr, gegen die üblen Gerüchte anzusteuern, die Malwine von Trettin in Umlauf gebracht hatte.
VI.
N un war er also Soldat. Fridolin konnte es selbst kaum glauben. Mit leiser Wehmut sah er Jean dabei zu, wie er den Zivilanzug, den er bis eben getragen hatte, ausbürstete, um ihn in den Schrank zu hängen, und wusste nicht so recht, wie er sich zu seiner neuen Situation stellen sollte. Als er vor den Spiegel trat und sich betrachtete, kam er sich in der dunkelblauen Uniform mit dem Kragen, den Aufschlägen und Rabatten in Rot und den gelben Knöpfen und Litzen wie ein Fremder vor. Der lederne Helm mit seinem viereckigen Aufsatz verstärkte diesen Eindruck noch. Nur das Gesicht mit den blauen Augen war seines.
»Daran werde ich mich gewöhnen müssen«, sagte er zu Lore, die mit Nathalia zusammen hereingekommen war, um ihn abzuholen.
Lore verzog das Gesicht. »Es war deine Entscheidung, mein Lieber. Ich habe dich nicht dazu gedrängt.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Aber es ist nun einmal so, dass in diesem Land ein Mann nur dann etwas gilt, wenn er des Königs Rock getragen hat. Außerdem war mein Vater Major …«
»… und ist im Krieg gefallen«, fiel Lore ihm ins Wort.
Fridolin nickte. »Ja, das ist er! Aber die Zeit der Kriege ist vorbei. Laut Bismarck ist das Reich saturiert, und ich wüsste auch nicht, was Preußen sich noch einverleiben sollte. Böhmen vielleicht? Da würde Österreich sich sofort mit Frankreich gegen uns verbünden. Polen zählt bis auf die Provinzen Posen und Westpreußen zu Russland, also ist auch dort für uns nichts mehr zu holen. Dänemark haben wir bereits um Holstein und Schleswig gebracht und die Franzosen um Elsass und Lothringen. Blieben also nur noch Belgien, die Niederlande und die Schweiz.«
»Gegen die Schweiz kann Preußen ruhig Krieg führen. Dann müsste ich nicht mehr zurück ins Internat«, warf Nathalia hoffnungsvoll ein.
Mit einem Lachen wandte Fridolin sich ihr zu und zerzauste ihr das Haar. »Nein, mein liebes Fräulein! Ich für meinen Teil will wahrlich keinen Krieg führen. Ich ziehe die Uniform nur an, um hinterher als Geschäftsmann erfolgreich sein zu können. Wenn mich dann einer fragt: ›Ham se jedient?‹, kriegt er zur Antwort: ›Jawoll, beim Zweiten Garde-Ulanen-Regiment!‹«
»Wieso musstest du eigentlich zu den Ulanen? So ein guter Reiter bist du doch auch wieder nicht?« Lores Frage war berechtigt, doch Fridolin ging munter darüber hinweg.
»Ein Trettin dient nur bei einem berittenen Garderegiment und sonst nirgends. Außerdem war der jetzige Kommandeur ein Kamerad meines Vaters und hat uns früher oft besucht. Er wollte
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