Aprilgewitter
die Kanne und verhinderte eine Pfütze auf dem Tisch. Die Tasse war jedoch so voll, dass bereits die kleinste Erschütterung ausreichen würde, sie überfließen zu lassen.
Lore schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber Nati, du weißt doch, dass ich den Kaffee nur mit viel Milch trinke. Und nun ist die Tasse zu voll!«
»Kein Problem!« Nathalia schnappte sich die Kaffekanne, nahm den Deckel ab und schüttete ein Drittel des Tasseninhalts hinein.
»Na siehst du – kein Tropfen danebengegangen!«, erklärte sie stolz.
»Du bist unmöglich!«, antwortete Lore lachend.
Nathalia begann zu kichern. »Wissen Sie, Frau von Trettin. Solche Sachen habe ich von meiner früheren Gouvernante gelernt, einem gewissen Fräulein Huppach!«
»Ich sagte ja, du bist unmöglich!« Lore bedachte sie mit einem Blick, der vernichtend sein sollte, stattdessen aber ihre Heiterkeit verriet.
Grinsend goss Nathalia Milch in den Kaffee.
»Soll ich Ihnen ein Brötchen aufschneiden, liebe Lore?«, fragte Caroline, die dem kurzen Wortwechsel mit einem feinen Lächeln gefolgt war.
»Dann geht es nämlich schneller«, warf Nathalia ein und nahm sich rasch das vorletzte Brötchen aus dem Korb.
Caroline sah sie verdattert an. »Aber du hast doch schon zwei gegessen!«
»Das schon, aber so eine Parade dauert lange, habe ich mir sagen lassen. Daher werden wir so schnell nichts zu essen bekommen!« Nathalia ließ sich durch nichts die Laune verderben und steckte die beiden Frauen mit ihrer Fröhlichkeit an.
Auch Gregor wirkte gelöster als sonst. Lächelnd gesellte er sich zu dem Droschkenkutscher. Lore, Caroline und Nathalia zogen sich zum Ausgehen an und folgten ihm wenige Minuten später.
XV.
I n der Straße Unter den Linden standen die Zuschauer bereits so dicht, dass man das Pflaster des Trottoirs nicht mehr erkennen konnte. Daher musste der Droschkenkutscher sein Gefährt am Anfang der Paradestrecke in der Nähe des Brandenburger Tores abstellen. »Näher komme ich nicht ran«, meinte er gemütlich und zog eine Schnapsflasche aus der Jackentasche, um sich zu stärken.
Nathalia stellte sich in der Droschke auf, um zu prüfen, wie die Sicht von dieser Stelle aus war. Befriedigt stellte sie fest, dass ihnen kein anderes Fahrzeug die Aussicht verstellen konnte.
Unterdessen ließ Lore den Blick über die Menschen schweifen, die sich immer dichter drängten, um die Parade zu verfolgen. Dabei fiel ihr ein protzig bemalter Landauer auf, auf dessen Bock ein Kutscher und ein Lakai in grüngoldenen Uniformen saßen. In den Insassen erkannte sie schließlich den Bankier Grünfelder, seine Frau und seine Tochter, die keine zwanzig Meter von ihr entfernt ebenfalls die aufmarschierenden Soldaten erwarteten. Noch hatte die Bankiersfamilie sie nicht entdeckt. Lore drückte sich tief in die Polster, denn Wilhelmine Grünfelder war wohl die letzte Person, der sie an diesem Tag begegnen wollte.
»Ich höre schon was!« Nathalia hielt es vor Aufregung kaum mehr im Wagen. Auch Lore vernahm jetzt das Spiel einer Marschkapelle und kurz darauf Hufgetrappel. Allerdings bogen nicht die Garde-Ulanen um die Ecke, sondern eine Schwadron Kürassiere in schwarzen Harnischen und mit Adlern statt der üblichen Spitzen auf den Helmen.
Dahinter marschierten die ersten Infanteristen mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor. Jubel brandete auf, und so mancher Vater rief entzückt, er habe seinen Sohn unter den paradierenden Soldaten entdeckt.
Lore wartete mit klopfendem Herzen auf Fridolin und konnte daher den Blick nicht von den Soldaten lassen. Dabei übersah sie Hede Pfefferkorn, die auf der anderen Seite der Straße Unter den Linden stand. Diese hatte darauf verzichtet, mit einem Wagen zu kommen. Eine Bordellbesitzerin, die das einmal getan hatte, war erkannt worden, und prompt hatte man ihr faule Eier an den Kopf geworfen. Das wollte sie nicht riskieren. In der Menge eingekeilt, bemerkte sie nicht, dass Elsie sich an der Paradestrecke aufhielt, anstatt im
Le Plaisir
sauber zu machen, wie ihr aufgetragen worden war. Zielstrebig bewegte sich die junge Hure Elsie auf Lores Droschke zu.
Ein Trompetensignal kündigte endlich die Garde-Ulanen an. Doch als die ersten Reiter in ihren dunkelblauen Litewken und den langen, bewimpelten Lanzen in der Hand erschienen, blieb Lore sitzen. Nathalia zerrte an ihrem Ärmel, doch ihre große Freundin reagierte nicht. Da sie nichts verpassen wollte, gab Nathalia schließlich auf und bewunderte die Farbenpracht der
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