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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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dessen Tochter zu ehelichen. Wahrscheinlich war Konrad gekommen, um ihr diese Nachricht zu überbringen. Vielleicht handelte es sich auch um Gregor Hilgemann, der seinem letzten Brief zufolge sein Studium im kommenden Sommer beenden und dann nach Amerika auswandern wollte. Sie hoffte, er würde Caroline mitnehmen. Zwar glaubte sie, dass die beiden eher Sympathie und Achtung füreinander empfanden denn himmelsstürmende Liebe, doch das war möglicherweise auch besser so. Wer zu sehr liebte, verlor sich selbst, das hatte sie am eigenen Leib erfahren.
    »Könnten Sie so gütig sein und die Tür wieder zumachen, gnädige Frau? Es wird sonst kalt in der Hütte, und ich müsste tüchtig einheizen, damit wir nicht frieren. Aber ich weiß nicht, ob unser Brennholz reicht, bis der Schnee geschmolzen ist«, ließ Jutta sich vernehmen.
    Lore schloss die Tür und drehte sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihrer Zofe um. »Wir haben doch nur wenig mehr als die Hälfte unseres Holzvorrats verbraucht.«
    »Es sind bereits über zwei Drittel«, rückte Jutta die Tatsachen zurecht. »Dabei kommt es mir so vor, als wolle der Winter in diesen Bergen überhaupt nicht weichen. In Berlin dürften bereits die ersten Blumen blühen. Ich muss sagen, ich wäre froh, wenn wir bald wieder unter Menschen kämen. Die Einsamkeit hier heroben macht mich noch ganz trübsinnig, und Ihnen tut sie auf Dauer auch nicht gut!« Seufzend legte die Zofe ein Scheit nach.
    Die Hoffnung, Lore würde auf sie hören und endlich wieder in die Zivilisation zurückkehren, hatte sie schon vor geraumer Zeit aufgegeben. Leider dachte auch Fräulein Nathalia nicht daran, auf die Gnädige einzuwirken. Der Komtess gefiel das Leben auf dem Berg, weil sie sich hier weder mit missliebigen Mitschülerinnen noch mit strengen Lehrerinnen herumschlagen musste. Außerdem freute Nathalia sich, wieder bei Lore zu sein, und hätte mit ihrer großen Freundin selbst in einer Strohhütte am Ende der Welt gelebt.
    Während ihre Mitbewohnerinnen ihren Gedanken nachhingen, öffnete Lore erneut die Tür. Diesmal trat sie ganz ins Freie und fröstelte sofort, da sie ihr Schultertuch nicht umgelegt hatte. Sie warf noch einmal einen Blick ins Dorf und entdeckte drei Männer, die sich mühsam den Weg zu ihr herauf bahnten. In dem immer stärker werdenden Schneefall vermochte sie nicht einmal zu sagen, ob es sich um Einheimische oder um Fremde handelte.
    Lore wollte wieder in die Hütte zurückkehren, als ein seltsames Geräusch sie innehalten ließ. Angespannt drehte sie sich um und blickte den Berg hoch. Keine zweihundert Meter über ihr verbargen die Wolken die steil aufragende Flanke vor ihren Blicken. Von dort oben ertönte dieses eigenartige Rauschen und Klingeln. Außerdem hatte sie auf einmal das Gefühl, als vibriere der Boden unter den Füßen.
    Aufstiebender Schnee an der Wolkengrenze ließ sie zusammenzucken. Zwar hatten die Einheimischen ihr immer wieder von Lawinen erzählt, aber sie hatte noch nie eine erlebt. Erschrocken hoffte sie, die Gewalten der Natur würden sich über die stärker geneigte Seite des Berges ergießen, weit weg von allen menschlichen Behausungen. Doch ein weiterer Blick nach oben ließ ihr das Blut in den Adern gerinnen.
    Eine weiße Wand stürzte zu Tal, und sie spürte bereits jenen zu Staub zermahlenen Schnee auf dem Gesicht, der, wie man ihr erzählt hatte, der eigentlichen Lawine vorauseilte.
    Lore wollte schreien, brachte aber nur ein paar erstickte Laute heraus. Diese reichten jedoch aus, um Jutta aufschauen zu
     lassen. Diese sah ihre Herrin mitten in dem aufstiebenden Staubschnee stehen und bemerkte deren Todesangst.
    »Wir sind verloren! Wir werden alle sterben!«, flüsterte Lore mit Tränen in den Augen. Vor der Lawine zu fliehen erschien ihr sinnlos. Diese würde sie einholen, bevor sie ein paar Schritte getan hatten.
    »Zurück in die Hütte!« Jutta packte Lore am Arm und zog sie herein. Noch in derselben Bewegung schlug sie die Tür zu und schob den Riegel vor. Während Nathalia geistesgegenwärtig die Fensterläden schloss, drehte die Zofe sich so bleich wie der Schnee, der auf die Blockhütte zuraste, zu ihrer Herrin um.
    »Sie wollten ja unbedingt in diesem elenden Stall bleiben!« Dann fand sie selbst, dass dies als Vorwurf aufgefasst werden konnte, und setzte schuldbewusst »aber ich verzeihe Ihnen« hinzu.
    Lore horchte wie erstarrt auf die Lawine, die nun lauter klang als ein vorbeifahrender Eisenbahnzug, und überlegte

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