Aprilgewitter
Gefühlsausbrüche.
»Aber ich weiß es«, konterte seine Frau. »Wie es aussieht, ist Herr von Trettin mit einer ganz und gar unpassenden Frau verheiratet.«
»Es ist eine Megäre aus der Gosse!«, stieß Wilhelmine theatralisch aus.
»Bitte mäßige deine Wortwahl!«, tadelte die Mutter sie und wandte sich wieder ihrem Mann zu.
»Du wirst verstehen, dass ich mich nicht in der Lage sehe, eine solche Person in mein Haus einzuladen. Wilhelmines Freundin Kriemhild von Wesel stammt aus den höchsten Kreisen. Wenn sie etwas gegen Trettins Ehefrau sagt, so hat das Gewicht. Diese Sache betrifft jedoch nicht nur mich persönlich, sondern auch dich, mein Lieber. Es macht kein gutes Bild, wenn dem Vizedirektor deiner Bank eine solche Mesalliance nachgesagt wird. Es könnte deiner Reputation schaden.«
»Das wird es gewiss!«, behauptete Wilhelmine sofort.
Auf Grünfelders Gesicht erschien eine zornige Falte. »Wenn es also nach euch ginge, müsste ich mich umgehend von Herrn von Trettin trennen.«
»Nein! Das verstehst du falsch. Herr von Trettin ist ein Edelmann und – wie du selbst gesagt hast – ein Gewinn für deine Bank. Doch um dies auf Dauer bleiben zu können, müsste er sich von seiner jetzigen Ehefrau trennen und eine für seinen Stand geeignete Gattin nehmen.«
Grünfelder schüttelte den Kopf. »Eine Scheidung würde einen Skandal nach sich ziehen!«
»Nicht in einem solchen Fall. Außerdem haben sich schon Grafen und Fürsten scheiden lassen. Da wird ein Freiherr wohl auch das Recht dazu haben«, trumpfte seine Frau auf.
»Das solltest du Herrn von Trettin erklären!« Wilhelmines Augen leuchteten in einem warmen Glanz und zeigten deutlich, dass sie sich für die geeignete Gattin eines adeligen Vizebankdirektors hielt.
Die Abneigung ihres Vaters gegen diese Idee schwand. Da Fridolin sich mit einer hübschen Summe an seiner Bank beteiligen wollte, wäre es tatsächlich gut, ihn noch enger an das Bankhaus und seine Familie zu binden.
»Ich kann ihn schlecht darauf ansprechen. Er ist ein Edelmann und wäre in diesem Fall zu Recht beleidigt. Und auch ihr solltet kein Wort darüber verlieren! Herr von Campe und Herr von Trepkow haben ihm bereits deutlich zu verstehen gegeben, was sie von seiner Frau halten. Also sollten wir diese Herren und einige ihrer Freunde weiterhin zu Gast bitten. Sie werden Herrn von Trettin gewiss in unserem Sinne beeinflussen.«
»Wenn er dann selbst noch kommt«, wandte seine Frau besorgt ein.
Grünfelder lächelte ihr verständnisvoll zu. »Die nächsten zwei-, dreimal wird er wohl noch erscheinen. Für uns heißt dies, rasch zu handeln und ihn davon zu überzeugen, dass seine Gattin hier in Berlin Persona non grata ist und bleiben wird!«
»Ich werde auch Kriemhild von Wesel einladen«, rief Wilhelmine aus. »Sie nimmt bestimmt kein Blatt vor den Mund.«
»Tu das!«, stimmte ihr die Mutter zu. Immerhin war jene junge Dame die einzige Freundin aus höheren Kreisen, die auch nach dem Abschluss der Höheren Töchterschule in der Schweiz engen Kontakt zu Wilhelmine hielt. Andere Mitschülerinnen meldeten sich zwar gelegentlich, doch meist nur dann, wenn deren männliche Verwandte einen Kredit vom Bankhaus Grünfelder wünschten.
»Damit wäre alles geklärt!« Grünfelder atmete auf, weil er in dieser Sache nicht selbst aktiv werden musste. Nun sehnte er sich nach einer Zigarre. Er bat Frau und Tochter, ihn zu entschuldigen, und entschwand in den Rauchsalon.
Kaum war die Tür des Boudoirs hinter ihm zugefallen, umarmte Wilhelmine ihre Mutter im Überschwang der Gefühle. »Ach, wenn es nur möglich wäre!«
»Warum sollte es nicht möglich sein?« Juliane Grünfelder hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, wie leicht es war, die Meinung anderer zu steuern. Wenn Fridolin von Trettin begriff, wie wenig willkommen seine Ehefrau in den höheren Kreisen war, würde er sich über kurz oder lang von ihr trennen. Eine Handvoll Taler würden dieser armseligen Schneiderin den Abschied leicht machen. Danach würde, wenn sie es richtig anfingen, ihre Tochter die nächste Trägerin des altehrwürdigen Namens derer von Trettin werden.
Um diese Entwicklung zu beschleunigen, machten sich die beiden Damen gleich daran, etliche Einladungen für die nächste Feier in ihrem Haus zu schreiben, und waren sicher, dass ihre Gäste Fridolin schon den richtigen Pfad weisen würden.
XV.
O hne zu ahnen, welche Rolle sie in den Überlegungen ihr völlig fremder Menschen spielte, beschloss
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