Aprilgewitter
Bruder dient im gleichen Regiment wie er als Offizier. Seinetwegen darf nichts, was ich für Sie tue, aus diesen Mauern dringen.«
Da ihre Probearbeit Anklang gefunden hatte, war Caroline von Trepkow etwas mutiger geworden.
Mary wiegte den Kopf. »Wenn Sie hierherkommen, um die fertigen Kleider zu bringen und andere mitzunehmen, wird es sich nicht vermeiden lassen, dass meine Näherinnen auf Sie aufmerksam werden und schwatzen.«
»Ich könnte Sie in Ihrem privaten Domizil aufsuchen«, schlug Caroline von Trepkow vor.
Mary wollte ihr schon zustimmen, als ihr eine bessere Idee kam. »Warten Sie einen Augenblick! Ich muss kurz mit Freifrau von Trettin sprechen. Sie ist eine gute Freundin von mir und sicher gerne bereit, Ihnen beizustehen. Falls Sie häufig zu mir kommen, wird auch das irgendwann einmal auffallen, und Sie haben genau das Gerede am Hals, welches Sie unbedingt vermeiden wollen. Doch eine Freifrau von Trettin können Sie jederzeit besuchen. Ich werde die Sachen dort abholen lassen.«
Caroline von Trepkow sah sie erschrocken an. »Aber das kann ich nicht tun. Die Dame wird …«
»Wollen Sie Geld verdienen oder nicht?« Mary wurde die Ziererei der jungen Adeligen allmählich leid.
Caroline begriff, dass sie entweder nachgeben oder gehen musste. Ihr Magen, der auf einmal vernehmlich knurrte, ließ ihr keine Wahl. »Ich werde es so halten, wie Sie es wünschen, Mrs. Penn.«
»Sehr gut! Einen Moment, ich bitte Freifrau von Trettin herein.« Mary hegte noch einen Hintergedanken: Da ihr die junge Dame sympathisch war, mochte diese Bekanntschaft Lore helfen, ihre Isolation zu durchbrechen. Sie verließ ihr Büro und trat zu Lore. »Gnädige Frau, wenn Sie bitte die Güte hätten, mit mir zu kommen!«
Lore spürte, dass sich etwas Ungewöhnliches tat, und musterte Mary. Es wurmte sie, dass ihre Freundin sie in der Öffentlichkeit so gestelzt anreden musste, wie es die gesellschaftlichen Konventionen verlangten. In Bremen hatten sie familiärer miteinander umgehen können. Der Gedanke fachte ihre Sehnsucht an, wieder in die Hansestadt zurückzukehren. Dort hatte sie Bekannte und Freundinnen, die sie einladen oder selbst aufsuchen konnte, und würde sich nicht so einsam fühlen wie hier.
Mit diesem Gedanken folgte sie Mary ins Büro.
»Darf ich Ihnen vorstellen, diese junge Dame ist Caroline von Trepkow, die Tochter eines ehemaligen Offiziers und Gutsbesitzers.« Mary wies nun mit einer Kopfbewegung auf Lore. »Und dies ist Freifrau Lore von Trettin, eine, wie ich vorhin schon sagte, sehr enge Freundin von mir!«
Lore zog erstaunt die Augenbrauen hoch, weil Mary ihre Beziehung ausgerechnet vor einer ihnen fremden Person preisgab. Mit einer Handbewegung bat Mary um ein wenig Geduld und reichte ihr dann die Bluse, deren Kragen Caroline angenäht hatte.
»Was sagst du zu dieser Arbeit, liebe Laurie?«
Auf einen Schlag begriff Lore, was die junge Frau getrieben hatte, hierherzukommen, und weshalb ihr Mantel so unmodisch war.
Obwohl in Berlin die Spitzen der Gesellschaft lebten, gab es auch unter den Adeligen etliche verarmte Familien, deren Angehörige nicht wussten, wovon sie am nächsten Tag leben sollten. Lohnabhängige Arbeit anzunehmen verbot ihnen ihr Stand, der ihnen als einziger Besitz verblieben war und den sie in der Hoffnung auf bessere Zeiten nicht aufgeben wollten. Daher blieb den männlichen Mitgliedern solcher Familien oft nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt durch Kartenspiel und dergleichen zu bestreiten, während die Frauen und Mädchen zu Hause heimlich für Schneiderinnen und Putzmacherinnen arbeiteten.
Da Lore in ihrer Heimat Ostpreußen selbst bittere Armut kennengelernt hatte, verspürte sie Mitleid mit Fräulein von Trepkow und lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.«
Caroline knickste verlegen. »Gnädige Frau, ich … ich will Sie nicht belästigen, aber …«
»Es ist so, dass Fräulein von Trepkow aus gewissen Gründen gezwungen ist, sich eine Beschäftigung zu suchen, die sie nicht mit ihrem Stand in Einklang bringen kann. Daher habe ich ihr den Vorschlag gemacht, die fertigen Kleidungsstücke zu dir zu bringen und dort auch die neuen Arbeiten abzuholen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus …« Zwar glaubte Mary nicht, dass Lore ablehnen würde, trotzdem war sie ein wenig unsicher, weil sie über deren Kopf hinweg entschieden hatte.
Lore begutachtete noch einmal den Kragen, den Caroline angenäht hatte, und nickte.
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