Aprilgewitter
erklärte ihr, dass sie drei Kleider benötige, die sie nur im Haus anziehen wolle.
»Besitzen Sie bereis den entsprechenden Stoff, oder wollen Sie sich anschauen, was ich vorrätig habe?«
»Ich habe im Vorzimmer schönes, blaues Tuch gesehen. Das hätte ich gerne für eines der Kleider. Die Stoffe für die beiden anderen werde ich selbst besorgen.« Lore zwinkerte Mary kurz zu, um die Sache nicht gar zu ernst werden zu lassen, und wies dann auf die junge Frau in dem unmodischen Mantel. »Ich sehe mich noch einmal um. Sie können sich daher dieser Dame widmen.«
»Gerne. Was kann ich für Sie tun?«, sprach Mary die junge Frau an.
Diese sah sich ängstlich um und flüsterte beinahe, als sie Antwort gab. »Ich hätte Sie gerne unter vier Augen gesprochen, Mrs. Penn.«
Mary hob die Augenbrauen, denn das klang nicht so, als wäre diese Frau eine neue Kundin. Da sie höflich sein wollte, bat sie die andere in ihr Büro. Dort setzte sie sich auf einen Stuhl und bat die junge Frau, auf einem anderen Platz zu nehmen.
»Danke, das ist sehr liebenswürdig, aber ich stehe lieber«, sagte diese und stellte die fast noch volle Kaffeetasse verstohlen auf eine Anrichte. Dann sah sie Mary mit einem verzweifelten Ausdruck an. »Mrs. Penn, ich bitte Sie, mein Eindringen zu verzeihen, aber ich dachte …« Sie atmete tief durch und kämpfte mit den Tränen. »Ich wollte Sie fragen, ob ich nicht für Sie nähen kann.«
Mary war perplex. Trotz der unmodischen Kleidung hatte die Frau auf sie nicht den Eindruck einer Näherin gemacht, sondern eher den einer jungen, wenn auch verarmten Dame von Stand. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen als Näherin bei mir arbeiten?«
Die junge Frau senkte den Kopf. »Ich dachte eher, ich könnte zu Hause für Sie nähen. Wissen Sie, ich … Es soll niemand erfahren. Ich brauche dringend Geld, weiß mir aber keine andere Möglichkeit, es zu verdienen. Sie brauchen sich nicht zu sorgen! Ich kann wirklich nähen! Wenn Sie es mich nur zeigen lassen würden …«
»Nun, das lässt sich machen. Warten Sie hier.« Mary stemmte sich am Schreibtisch hoch, ergriff ihren Stock und ging gemessenen Schrittes zur Tür. Bevor sie sie öffnete, drehte sie sich noch einmal zu ihrer Besucherin um. »Trinken Sie ruhig Ihren Kaffee aus. Ich sehe inzwischen, ob ich etwas finde, an dem Sie mir Ihre Kunst demonstrieren können!« Mary sprach etwas lauter als nötig, falls Lore hinter der Tür stand und zu lauschen versuchte. Dies schien allerdings nicht der Fall zu sein, denn als sie das Zimmer betrat, stand ihre Freundin am Fenster und blickte hinaus.
Mary nahm eine Bluse an sich, der noch der Kragen fehlte, und kehrte damit in ihr Büro zurück. »Hier! Stellen Sie diese Bluse fertig!«
»Sie ist wunderschön!« Die junge Dame strich vorsichtig über die schimmernde Seide, atmete dann tief durch und nahm das Nadelkissen zur Hand. Kopfnickend beobachtete Mary, dass die Frau gezielt die richtige Nadel und auch das entsprechende Garn wählte und mit zierlichen Stichen zu nähen begann. Ihre Besucherin konnte tatsächlich etwas, und Mary bedauerte, sie nicht direkt in ihrem Geschäft beschäftigen zu können. Ihr fielen Lores Erzählungen aus ihrer Zeit in Ostpreußen ein. Ihre Freundin hatte als junges Mädchen ebenfalls versucht, sich durch Nähen ein Einkommen zu sichern, und zur Probe einen Kragen annähen müssen.
Die Parallele war so frappant, dass sie sich das Lachen verkneifen musste. Allerdings stand ihr hier kein Mädchen von fünfzehn Jahren gegenüber, sondern eine abgehärmt aussehende Frau, die gut ein Jahrzehnt mehr zählen mochte. Doch vielleicht täuschte sie sich auch. Die Fremde mochte durchaus jünger und nur von Hunger und Not gezeichnet sein.
Gerade tat diese die letzten Stiche und reichte ihr die Bluse mit furchtsamer Miene. »Ich hoffe, Sie sind zufrieden.«
»Das bin ich«, sagte Mary, nachdem sie die Nähte geprüft hatte. »Meinen Angestellten werde ich sagen, ich hätte den Kragen selbst angenäht, gnädiges Fräulein.« Sie lächelte ihr freundlich zu und sah, wie ihre Besucherin aufatmete. »Wie stellen Sie sich Ihre Mitarbeit vor? Außerdem wüsste ich doch gerne, mit wem ich es zu tun habe.«
»Ich bin Caroline von Trepkow und lebe mit meiner Mutter und unserem Dienstmädchen zusammen in der Möckernstraße. Früher haben wir ein Gut besessen, aber mein Vater war mehr Soldat als Landwirt gewesen, und so mussten wir es schließlich aufgeben. Jetzt ist er tot, und mein
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