Aprilgewitter
mich, als wäre ich eine liebe Freundin für Sie und nicht ein Mädchen, das für seine Näharbeiten bezahlt wird!«
Mary schloss sie lächelnd in die Arme und küsste sie auf die Wangen. »Sie sind uns eine gute Freundin geworden, gnädiges Fräulein. Da ist es doch selbstverständlich, dass wir Sie nicht allein in die Nacht hinausgehen lassen. Sie brauchen zu Fuß und mit der Pferdetrambahn mindestens eine Stunde, um nach Hause zu kommen, und das ist ohne Begleitung viel zu riskant.«
»Da hören Sie es, Fräulein von Trepkow. Jetzt legen Sie Ihr Schultertuch um, damit Ihnen unterwegs nicht kalt wird! Dann brechen wir auf. Ich werde Ihnen nicht zur Last fallen.« Gregor verneigte sich kurz und wies dann zur Tür.
»Sie fallen mir gewiss nicht zur Last, Herr Hilgemann. Eher ich Ihnen! Außerdem kann es gefährlich für Sie sein, wenn ein Gendarm Sie erkennt.«
Hatte Gregor Hilgemann zuerst angenommen, Caroline würde seine Begleitung ablehnen, weil er ihr unsympathisch war, stellte er nun mit heimlicher Freude fest, dass sie sich um seine Sicherheit sorgte. Beschwichtigend hob er die Hand. »Herr Benecke wird mir seine alte Matrosenmütze leihen und auch einen entsprechenden Rock. Kein preußischer Gendarm wird mich dann für einen flüchtigen Studenten halten.«
Caroline nickte dankbar, erleichtert, den Heimweg nicht alleine antreten zu müssen. Zwar achteten die Schutzmänner in Berlin streng auf Recht und Ordnung, doch sie konnten nicht überall sein. Zum Glück, dachte sie, sonst wäre Gregor ständig in Gefahr.
»Ich komme morgen zur selben Zeit wieder«, sagte sie zu Mary, darauf hoffend, dass die Freifrau von Trettin ihre kleinen Nährunde tatsächlich verstärken würde. Danach verabschiedete sie sich.
Gregor Hilgemann folgte ihr wie ein Schatten, bereit, jeden Passanten, der Caroline auch nur schräg ansah, in seine Schranken zu weisen, doch er brauchte nicht einzugreifen. Die junge Frau erreichte ungehindert das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter und dem alten Dienstmädchen wohnte, und drehte sich an der Tür noch einmal zu ihm um.
»Herzlichen Dank, Herr Hilgemann! In Ihrer Gegenwart habe ich mich sicher gefühlt.« Dann huschte sie so rasch in den Flur, als hätte sie bereits zu viel gesagt, und ließ den jungen Mann nachdenklich zurück.
Als Caroline ihre Wohnung betrat, wartete eine Überraschung auf sie. Ihr Bruder Friedrich lümmelte sich auf dem Stuhl, hielt ein volles Weinglas in der Hand und hatte einen Teller mit Delikatessen vor sich stehen, wie sie in diesem Raum seit Wochen – seit seinem letzten Besuch – nicht mehr auf den Tisch gekommen waren. Die alte Fiene stand neben ihm, um ihn zu bedienen, während die Mutter mit einem glückseligen Ausdruck im Bett lag und die Augen nicht von ihrem Sohn abwenden konnte.
»Wo bist du so lange gewesen, Caroline?«, tadelte sie sie. »Kannst du nicht da sein, wenn uns dein Bruder besucht? Der Arme hat Schlimmes durchzumachen. Er erhält kaum Sold und muss doch als Leutnant stets adrett gekleidet sein und seinen Burschen bezahlen.«
»Ich finde, dass Friedrich durchaus gut gekleidet ist!« Tatsächlich trug ihr Bruder eine neue Uniform, die sicher kein billiger Schneider genäht hatte. Auch sein Säbel und der Ulanenhelm, die auf dem Tisch lagen, waren neu.
Mit einem zufriedenen Grinsen hob er ihr das Glas entgegen. »Auf dein Wohl, Schwesterchen!« Dann trank er und aß seelenruhig weiter.
Carolines Blick suchte Fiene, die beredt auf die Mutter zeigte, neben sie trat und flüsternd berichtete: »Die gnädige Frau hat verlangt, dass ich den Wein und die Delikatessen hole, um Herrn Friedrich etwas auftischen zu können. Ich musste ihm dann auch noch das restliche Geld aushändigen, das Ihr in der chinesischen Vase verwahrt habt.«
»Oh nein!« Caroline erbleichte.
Bei diesem Geld handelte es sich nicht nur um die geringe Rente ihrer Mutter, die sie dringend für die Miete benötigten, sondern auch um den ersten Lohn für ihre Näharbeiten. Diese Münzen hatte sie für Nahrungsmittel und andere, dringend notwendige Dinge verwenden wollen.
Mit möglichst ruhiger Stimme wandte sie sich an ihren Bruder. »Ich bin dir dankbar, dass du uns wieder einmal besuchst, Friedrich. Allerdings solltest du einen Teil der Summe, die Mama dir in ihrer Freude, dich zu sehen, zugesteckt hat, wieder zurückgeben. Sie ist für unsere Miete bestimmt. Wenn wir nicht rechtzeitig zahlen, setzt uns die Hauswirtin vor die Tür. Auch benötigen wir Geld für
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