Aprilgewitter
war. Nach dem Tod der Mutter war er auf sich gestellt gewesen und hatte etliche Dummheiten begangen, wie es für so viele junge Burschen ohne festen Halt typisch ist. Sein Onkel Wolfhard Nikolaus von Trettin hatte ihm nicht nur ein Mal aus der Patsche geholfen, sonst wäre er wegen seiner Schulden unweigerlich im Gefängnis gelandet. Und wenn Hede Pfefferkorn sich seiner nicht angenommen hätte, wäre er trotzdem auf Abwege geraten.
Hede hatte sich um ihn gekümmert, als sei er ihr jüngerer Bruder, und ihn auch in das eingeweiht, was zwischen Mann und Frau im Bett geschah. Bis zu diesem Tag wusste er nicht, ob sie das aus eigener Neigung getan hatte oder nur verhindern hatte wollen, dass er eines der billigen Bordelle aufsuchte und sich dort womöglich die französische Krankheit holte.
Träume hatte er in jener Zeit keine gehegt, außer dem einen, stets genug Geld zusammenzubekommen, um sein armseliges Zimmer bezahlen zu können und nicht hungern zu müssen. Fridolin seufzte. In dieser Hinsicht war Lore trotz der drückenden Armut, die Ottokar von Trettin und Malwine ihr und ihrem Großvater aufgezwungen hatten, glücklicher gewesen als er. Sie hatte stets ein Ziel vor Augen gehabt und mit aller Kraft versucht, es zu erreichen.
»Habe ich dir schon gesagt, wie wundervoll du bist?«, entfuhr es ihm.
Lore blickte erstaunt auf. »Was hast du gesagt?«
»Dass ich dich wundervoll finde!«
»Obwohl ich mich nur in Ausnahmefällen deinem Willen beuge und mit Mary zusammen diesen Modesalon betreibe?« Lore lachte leise, fasste dann aber nach seiner Hand. »Ich will dir wirklich keine Probleme bereiten. Später, wenn ich an mehr gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen muss, werde ich ohnehin nicht mehr so viel Zeit für Mary aufbringen können.«
Fridolins Ohren entging ihr leises Bedauern nicht. Trotzdem atmete er auf. Da Juliane Grünfelder sich mit einem Mal bereit zeigte, Lore bei ihren Festen zu empfangen, würde sie rasch neue Bekanntschaften schließen und weitere Einladungen erhalten. Die Zeit, weiterhin für fremde Leute zu arbeiten, hatte sie dann sicher nicht mehr.
II.
W ilhelmine Grünfelder fauchte wie eine Katze, der jemand auf den Schwanz getreten war. »Mama, wie konntest du diese Person nur einladen!«
»Kindchen, bitte, du darfst dich nicht so echauffieren!«, flehte die Mutter und überlegte, ob sie ihren Mann vorschieben und erklären sollte, er habe es von ihr gefordert. Da sie Wilhelmine jedoch zutraute, ihm eine Szene zu machen, fasste sie nach der Hand ihrer Tochter.
»Ich habe mit Rittmeister von Campe gesprochen. Er ist ein prachtvoller junger Mann, wenn du mich fragst!«
Ihre Tochter bedachte diesen Ausspruch mit einem Schniefen. Hasso von Campe sah in Uniform sicher gut aus, kam aber in ihren
Augen bei weitem nicht an Fridolin von Trettin heran.
»Herr von Campe wusste mir einige weitere Details über diese Schneiderin zu erzählen«, berichtete die Mutter weiter.
»Welche?«, fragte Wilhelmine sofort.
»Ich komme gleich darauf. Doch noch einmal zu Herrn von Campe. Er fragte mich, weshalb ich sie nicht zu unseren Festen einlade. Solange sie daheim herumsitzt, gehen die ganzen Gerüchte an ihr vorbei. Käme sie jedoch in Gesellschaft, würden die anderen Gäste ihr zeigen, was sie von ihr halten. Rittmeister von Campe ist sich sicher, dass Frau von Trettin unser Fest noch vor dem Ende beschämt verlassen wird.«
»Nenne sie nicht bei diesem Namen!« Für Wilhelmine Grünfelder gab es nur eine einzige Frau, die das Anrecht hatte, sich Freifrau von Trettin zu nennen, und das war sie selbst.
»Sobald Herr von Trettin erkennt, wie wenig unsere Kreise sich bereit zeigen, seine Frau zu akzeptieren, wird er sich mit dem Gedanken anfreunden, sich von ihr zu trennen. Dann kann dein Papa in deinem Sinne mit ihm sprechen. Vielleicht wirst du noch in diesem Jahr als Frau von Trettin bei uns zu Tische sitzen.« Juliane Grünfelder hoffte, ihre Tochter mit dieser Aussicht so weit zu beruhigen, dass diese sich in Gegenwart der Gäste nicht ungezogen benahm.
»Bedenke den Eindruck, den es auf Herrn Fridolin machen würde, wenn du seine Frau beleidigst«, beschwor sie Wilhelmine. »Er müsste dich für eine Jungfrau ohne jeglichen Edelsinn halten. Damit aber würdest du ihn zurückstoßen, und das willst du doch nicht.«
»Das will ich gewiss nicht.« Natürlich war Wilhelmines erster Gedanke gewesen, Lore bei dem Fest mit spitzen Bemerkungen ihre Verachtung spüren zu lassen. Doch ihre Mutter
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