Aqua
das aschfahle Gesicht mit den blauen Lippen und die strähnigen Haare. Wie ein gequältes, vergessenes Tier hockte die Frau in ihrem Verschlag.
Walde stieß mit den Füßen an ein Hindernis, das die Tür blockierte. Es ließ sich nicht mit den Beinen bewegen. Der Versuch, tief einzuatmen, löste wieder einen Hustenanfall aus. Walde fragte sich, wie lange die Frau sich noch festhalten konnte.
Diesmal nahm er einen kleineren Atemzug und tauchte ab. Unter Wasser die Augen zu öffnen war zwecklos, es war zu dunkel und das Wasser zu trüb. Das Hindernis gab nach, ließ sich aber nicht von der Tür entfernen. Er musste wieder hoch. Dabei stieß er etwas höher mit dem Knie gegen das Hindernis und bemerkte, dass es sich parallel zur Wand bewegen ließ. Mit beiden Händen an den Verschlag geklammert, drückte er. Es war ein Karton, den er Stück für Stück zur Seite schob. Darunter befand sich ein weiterer. Er war dermaßen aufgeweicht, dass er unter seinen Füßen nachgab. Walde musste noch einmal runter.
Beim Einatmen sah er, wie sich eine Hand der Frau vom Holz löste. Sie hatte die Augen geschlossen.
»Frau Helmes, ich hole Sie gleich raus.« Walde fasste von außen an die Hand der Frau. Sie fühlte sich so kalt an wie das Wasser. Er griff mit der verletzten Hand durch den Verschlag und packte das andere Handgelenk. Ihr Kopf war seitlich auf die Schulter gesunken. Wenn er sie losließ, würde sie im Wasser versinken. Aber wie sollte er nun die Tür frei bekommen? Lange würde er es hier auch nicht mehr aushalten.
Als er zurück zur Tür am Ende des Kellergangs schaute, war dort der winzige Schlitz unter der oberen Kante bereits überspült.
Nachdem Burkhard Decker in allen Räumen der Wohnung nachgesehen hatte, bemerkte er in der Diele die blutverschmierten Prospekte auf der Kommode. Walde war wahrscheinlich ebenfalls hier gewesen und hatte nach der Post gesehen, weil es an der Wohnungstür kein Namensschild gab.
Am Geländer im Treppenhaus fand er weitere Blutspuren und weiter unten auf einer Stufe die blutbefleckte Postkarte. Unter der Haustür drückte sich Wasser hindurch, das die Sandsäcke nicht zurückhalten konnten. Als Burkhard Decker den Lichtschalter drückte, tat sich nichts. Das Wasser floss über die Fliesen, schwappte an die Wände und die Eingangstür einer Beratungsstelle für Kinder, wie ihm das große Plakat daran sagte, und fand seinen Weg die Kellertreppe hinunter.
Burkhard hielt sich auf den ersten glitschigen Stufen am Geländer fest und fühlte Stoff unter den Händen. Es war Waldes Jacke, die am Geländer hing. Inzwischen stand er mit den Schuhen im Wasser und überlegte, ob der Sicherungskasten überspült und unter Spannung stehen könnte, aber dann wäre es jetzt bereits zu spät.
In dem spärlichen Licht, das von den Fenstern oben im Treppenhaus noch bis hierher drang, waren die aus dem Wasser ragende Kante der offen stehenden Kellertür und ein schmaler Streifen des Türrahmens zu erkennen. Einzig das Knattern des Kompressors war zu hören. Burkhard verknotete seine Jacke mit den Ärmeln oberhalb der seines Kollegen am Treppengeländer. Darauf legte er seinen Pulli und die Hose. Die bereits durchweichten Schuhe landeten auf einer der Stufen, über die das Wasser in Kaskaden hinablief.
Nur in Unterwäsche watete er hinunter ins Wasser. Als es ihm bis zu den Oberschenkeln reichte, beugte er sich reflexartig hinunter, tauchte die Arme hinein und spritzte sich das wenig einladende Nass auf die Brust und unter die Arme. Laut prustend tauchte er ein. In einem Zug erreichte er die Tür, hielt sich mit einer Hand daran fest, während die andere unter der Wasseroberfläche die Breite der Öffnung abtastete.
Seit seiner Kindheit hatte er sich nicht mehr beim Tauchen die Nase zugehalten. Nun tat er es wieder, um so wenig wie möglich von der Brühe eindringen zu lassen.
Auf der anderen Seite war es dunkel, was bei ihm den starken Drang auslöste, gleich wieder umzukehren, bevor er womöglich die Orientierung verlor. Doch dann hörte er die Stimme eines Mannes.
»Burkhard!« Grabbe war in der Fenstertür stehen geblieben. »Burkhard, bist du hier?«
Er war sich nicht sicher, ob es sich um das richtige Haus handelte. Nun rief er Waldes Namen ins Treppenhaus. Gegen diesen verdammten Motor von nebenan hatte er kaum eine Chance, gehört zu werden. Was hatte das Blut am Fensterrahmen zu bedeuten? Hatte sich jemand beim Eindringen ins Haus verletzt? Möglicherweise waren schon Plünderer
Weitere Kostenlose Bücher