Aqua
vorgefallen war, hatte er sich endlich beruhigt und hilfsbereit gezeigt.
Die größten Probleme hatte Walde die Wahl der Schuhe bereitet. Schließlich konnte er, nachdem er die Schlaufen so weit wie möglich gelockert hatte, in Sandalen schlüpfen.
»Die Spurensicherung in den Keller zu schicken, ist zwecklos«, meinte Grabbe. »Ich höre mich mal in der Nachbarschaft um.« Er war sich noch nicht ganz schlüssig, wo er mit der Suche nach Zeugen beginnen sollte.
»Sind Sie von der Polizei?« Die Männerstimme hörte sich nicht mehr allzu jung an. Zu sehen war niemand. Grabbe gelangte als Erster an das in Höhe des Stegs offen stehende Fenster am Haus nebenan. Ein älterer Mann saß dort im Rollstuhl.
»Können wir was für Sie tun?« Grabbe sah in zwei neugierig blickende blaue Augen.
»Ich hab’ gesehen, dass Frau Helmes gerade hier vorbeigebracht wurde. Ist sie im Keller gewesen?«
»Wie kommen Sie darauf?« Walde war, zusammen mit Burkhard, mit vorsichtigen Schritten ans Fenster getreten.
»Ohne FI-Schalter kann das Wasser im Keller unter Spannung stehen, dann wird es lebensgefährlich.« Der Mann hatte die linke Schulter hochgezogen. Der Schnurrbart über der linken Oberlippe wies ebenfalls leicht nach oben.
»Wie kommen Sie darauf, dass Frau Helmes im Keller war, Herr..?«
»Reuther mit TH. Dazu brauche ich kein Sherlock Holmes zu sein. Sie trugen vorhin Kleidung, die Ihnen gepasst hat. Und unterkühlt scheinen Sie ebenfalls zu sein. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Wenn Sie einen fertig haben?«
Der Mann zog die leicht heruntergerutschte Decke über seinen Beinen hoch, setzte mit dem summenden Elektromotor des Rollstuhls ein Stück rückwärts, ließ das Gerät auf der Stelle eine halbe Drehung ausführen und fuhr aus dem Zimmer.
Kurze Zeit später kam er mit einem Tablett zurück, auf dem statt Kaffeetassen vier Cognacschwenker und eine Flasche standen.
»Der Strom ist ja ausgefallen, entschuldigen Sie, aber Cognac wärmt noch besser als Kaffee.« Er stellte die Gläser in einer Reihe nebeneinander auf die Fensterbank und schenkte großzügig ein.
»Haben Sie außer uns sonst noch jemanden beobachtet?«, fragte Grabbe.
»Kommt darauf an, was passiert ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ist der Frau Gewalt angetan worden?«
Walde zögerte mit der Antwort. Grabbe kam ihm zuvor: »Nicht direkt … aber vermutlich indirekt.«
»Da kommen die ersten.« Reuther zeigte nach unten zur überschwemmten Straße. Auf den ersten Blick hielt Walde das, was auf dem Wasser schwamm, für Felle. Doch sie bewegten sich wie von Fäden gezogen und ließen dabei eine schmale Strömung hinter sich zurück. Mit lautem Plumpsen, als würden große Steine ins Wasser geworfen, tauchten die Ratten nacheinander ab. Walde schüttelte sich angewidert.
»Sie sitzen schon länger hier am Fenster?«, wollte Grabbe wissen.
»Dafür kommt nur der Bullige infrage«, folgerte Herr Reuther.
»Können Sie den Mann etwas näher beschreiben?«
»Mitte fünfzig, Stiernacken, in Amerika würde man Redneck dazu sagen, halslos, dicke Augenbrauen, untersetzt, stechender Blick.«
»Sie haben eine gute Beobachtungsgabe. Ist Ihnen der Mann vorher schon mal begegnet?«
»Nicht nur einmal, ich habe sein Foto schon öfter in der Zeitung gesehen, aber was über ihn geschrieben wird, lese ich nicht, der ist mir unsympathisch.« Der Mann füllte die Gläser nach. »Zur Wahl gehe ich schon lange nicht mehr.«
Burkhard saß am Steuer. Der Notarzt hatte vorhin seine Verletzung betastet und war zu dem Schluss gekommen, dass nichts gebrochen war. Burkhard hatte am Cognac genippt, Walde sein ganzes Glas geleert. Der Alkohol vertrieb, verstärkt durch die Heizung des Wagens, die Kälte aus seinem Körper.
Auf Waldes Frage, woher er diese Schleichwege kenne, hatte ihm sein neuer Kollege von seinen Radtouren erzählt, die sich längst nicht nur auf die flachen Strecken in den Tälern beschränkten. Über Straßen, die Walde vorher noch nie zu Gesicht bekommen hatte, gelangten sie in das abgelegene Dörfchen.
Im Hof standen etliche Pkws und Traktoren. Holtzers Schwiegertochter führte Walde und Burkhard vom Wohnhaus, wo sie geklingelt hatten, zum Stall. Unterwegs berichtete sie ihnen, dass seit gestern Abend der Strom ausgefallen sei. Ihr Mann, der Schwiegervater, Freunde aus dem Nachbarort und sogar die betagte Oma seien seit sechs Uhr in der Früh die Kühe am Melken. »Die Kälber trinken gleich bei den Mutterkühen«, sagte sie, während sie
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