Aqualove
mein Verhalten selbst irrational. Wir hatten grundsätzliche moralische Konflikte, aber ich war dennoch hoffnungslos verknallt. Endlich hatte ich das, wonach ich mich seit Wochen gesehnt hatte: Ethan. Ich erwischte mich, wie ich beim Frühstück versonnen auf sein Gesicht starrte. Er hatte mein Hirn weich gekocht. Sein gutes Aussehen hatte mich schon immer angezogen. Jetzt konnte ich nicht aufhören, die Linie seines Halses bis zum Hemdkragen zu verfolgen. Ich erinnerte mich an die Makellosigkeit seines nackten Körpers, die unauffällig fein definierte Muskulatur an Brust und Armen. Seine Ohren, die so klein und perfekt gerundet waren. Sein Mund, dessen ernster Zug mich immer daran erinnerte, dass Ethan kein kleiner Junge mehr war, obwohl seine wirren, blonden Haare einen anderen Eindruck vermittelten. Im Eisblau seiner Augen hatte ich meinen Verstand schon lange verloren.
Die anderen am Tisch beobachteten uns schweigend. Mancher schenkte uns versteckt ein mildes Lächeln. Diejenigen, die Ethan gegenüber vergangene Nacht noch feindlich gesinnt waren, wirkten heute erleichtert, dass die erdrückende Atmosphäre sich entspannt hatte. Ash, Ingrit und Uli waren im Vergleich zu Cem und Carlos keine Kämpfernaturen. Dass sie mir zur Seite gestanden hatten, war einzig aus einer moralischen Verpflichtung Levent gegenüber passiert. Ich war froh, als Ingrit und Uli begannen, von ihren letzten Reiseerfahrungen zu berichten. Nachdem wir alle gemeinsam abgespült hatten, zerstreuten sich die Parteien. Nur Levent blickte immer wieder prüfend in unsere Richtung. Ich konnte seine Sorge gut verstehen. Meine Gewissheit, dass Ethan mir nicht mehr schaden wollte, konnte er nicht haben. Mir kurz gedankenverloren über die Haare streichelnd, sagte Ethan plötzlich: „Levent. Wir müssen reden.“
Levent, der nachdenklich in den Wald hinausgesehen hatte, kam langsam herüber. „Was gibt es, Shark?“
Immer noch irritierte mich dieser Name. Ich würde Ethan nie so nennen können.
„Wie sollen wir vorgehen? Wie bereiten wir uns auf die Ankunft der anderen vor?“
„Ich möchte, dass du in den Fluss gehst und versuchst, ihre Stimmen zu hören. Vielleicht verraten sie uns etwas über den Zeitplan oder wie sie vorgehen wollen.“
„Wäre es nicht sicherer, Nia wegzubringen?“
„Wie willst du sie dauerhaft vor ihnen schützen, Shark? Wenn schon eine von uns auf sie wartet, werden sie zu keinen Kompromissen bereit sein.“
Ethan sah bedrückt aus. „Nia hat eine einzigartige DNA-Sequenz. Es ist unmöglich, auf die Schnelle einen Ersatz zu beschaffen.“ Ich sah ihn entsetzt an. „Es tut mir leid, Nia, aber so sehen die Fakten aus.“
Der Geschäftston dieser Unterhaltung war schockierend. Einen Ersatz – für mich? Die Vorstellung, dass jemand an meiner Stelle geopfert werden sollte, erfüllte mich mit Scham und Abscheu. Es war gut, dass diese Möglichkeit offensichtlich keine Alternative darstellte. „Ich weiß es nicht“, sagte Ethan nachdenklich. „Aber ich glaube, bei mir zu Hause könnte ich sie besser schützen. Ich hätte mehr Personal, bessere Sicherheitsvorkehrungen. Was wollen wir gegen unsere Leute hier schon ausrichten? Wollen wir das Leben Unschuldiger aufs Spiel setzen?“
„Gestern habe ich das noch aus Überzeugung getan, ja.“ Levent sah Ethan prüfend an. Es war offensichtlich, dass er ihm noch nicht traute.
„Wisst ihr was?“, fragte ich rhetorisch. „Ich habe seit Tagen rastlos, verängstigt, durcheinander und mit viel zu wenig Essen über die Runden kommen müssen. Sorry, Levent. Ich will nicht schon wieder die nächste Reise ins Ungewisse antreten. Mein gesunder
Menschenverstand sagt mir, dass wir keine hundert Prozent sichere Lösung finden werden.
Lasst uns ein paar Tage abwarten. Vielleicht finden sie mich nicht so schnell, wie wir vermuten. Wenn sich nichts tut, fahren wir zurück. Außerdem verschafft es uns Zeit, nachzudenken und den Feind zu belauschen. Bisher haben wir immer nur unter Zeitdruck reagiert. Wir brauchen alle eine Verschnaufpause.“
Ich schaute die beiden erwartungsvoll an.
„Es ist schwer, Levent, sie von etwas abzubringen.“
„Ist mir auch schon aufgefallen. Ich vermute, dass sie seit eurer Knutscherei heute Morgen die Urlaubsqualitäten dieses Ortes entdeckt hat.“
„So viel Menschenkenntnis auf zwei kluge Köpfe verteilt ...“, bemerkte ich ironisch.
„Immerhin kann ich dich so im Auge behalten, Shark“, stellte Levent nüchtern fest.
„Schau nicht
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