Aquila
Sagen Sie, Liam, ist Ihnen ›Stronghold‹ ein Begriff?«
»Nein. Nie gehört.«
»Gott, das Ganze ist ein riesiges Kuddelmuddel. Keine klare Linie, alles eine einzige Schlamperei. Wissen Sie, wie mir das vorkommt, Liam? Wie das echte Leben. Alles vermasselt, unvorhersehbar, ohne System. Um ehrlich zu sein, ich hasse so was. Ehrlich. Und in diesem Fall wurde schon von Anfang an geschlampt.«
»Hören Sie, Arden, wir sind nicht darauf erpicht, hier draußen im Einsatz zu sein. Außer uns sind alle tot – verstehen Sie? Wir wollen wieder raus aus der Kälte.«
»Reden Sie nicht solchen Stuss. Sie können sich jederzeit ins Flugzeug setzen. Die ganze verdammte Sache war ein
Sandkastenspiel – das wissen Sie. Raus aus der Kälte – so ein Quatsch!«
»Sagen Sie uns, was wir tun sollen. Wir haben diesen Auftrag übernommen und wollen ihn auch zu Ende führen. Andrew lässt Ihnen ausrichten, es geht um – was, Andrew? Ja, Selbstachtung, Arden. Hier geht es um Selbstachtung.«
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»Alles klar. Liam, wenn ich Ihnen von Stronghold erzähle, haben Sie einiges vor sich. Sind Sie beide dazu bereit?«
»Wir sind nicht senil, verdammt noch mal! Sagen sie uns einfach, was wir tun sollen.«
»Na gut. Zunächst brauchen Sie Leuchtkugeln. Rote
Leuchtkugeln.«
Liam stöhnte. Arden Sanger grinste sich eins. Er würde das rasch ausbügeln. Sehr rasch. Die Autobiografie musste eben ein bisschen warten …
Bert Prosser war völlig erschöpft. Er brauchte nicht in den Spiegel seines Rolls-Royce zu schauen, um zu wissen, wie er aussah: das Gesicht grau, die Augen blutunterlaufen, der Mund ausgetrocknet, die Hände zittrig, sobald er das Steuer losließ. Er wog kaum sechzig Kilo und fühlte sich wie ein Gerippe, das man zu Halloween an den Türrahmen hängte, um die Kinder zu erschrecken. Wie der Gestank von faulem Fleisch umgab ihn die Furcht vor dem Tod. Bald war es so weit, bald würde er sterben.
Alles war in die Binsen gegangen, alles hatte sich gegen ihn gewendet.
Mit dem Mord an dem Betrunkenen – seinem eigenen Mann –
hatte es angefangen. Mitten in der Nacht war er halluzinierend hochgefahren und hatte gedacht, er sei schon tot, sei in seinem Sarg eingeschlossen, in den unten das Wasser hineinlief. Noch im Wachen hatte er das Bild des Mannes im Sarg vor sich, an dem das Wasser hochstieg. Aber er sah den Mann, den er erschossen hatte, und er lag nicht im Sarg, sondern in einem nach Moder stinkenden Brunnen.
Dann das Theater mit dem Abtransport des ausgebrannten Wagens: Er musste den Eigentümer eines Abschleppwagens schmieren und eine Geschichte erfinden. Gott, alles war so mühsam, und er konnte sich nicht darauf verlassen, dass der Mann dichthielt. Es gab zu viele Ungereimtheiten. Er wusste nicht, wo Andrew und Liam waren; vermutlich irrten sie 260
irgendwo da draußen herum und würden schließlich nach Boston zurückkehren, um sich von dort aus zu melden. Ja, es war ein einziger Schlamassel. Aber er war auch nur ein Mensch.
Und sehr alt. Zu früheren Zeiten hätte er die Dinge niemals so außer Kontrolle geraten lassen – niemals. Aber zu jener Zeit wäre er gar nicht mit so irrwitzigen Aufträgen befasst gewesen.
Sandkastenspiele hießen sie bei den Agenten. Das hier war ein Scheißspiel: planlos, erfolglos bis zum Geht-nicht-mehr und sinnlos – sowohl für Petrow als auch für Sanger. Petrow hätte sich nie darauf einlassen dürfen. Prasser fragte sich, was ihn wohl dazu bewogen haben mochte, aber er wusste, er würde es nie erfahren. Und Sanger war darauf eingegangen, nachdem er Bert um Rat gebeten hatte.
Scheiße! Er hatte alles vermasselt, war zu unentschlossen gewesen. Zu alt …
Er erreichte Cambridge kurz nach neun, stellte den Rolls in die Garage und ging durch den offiziellen Eingang ins Haus, der zu seinen Privaträumen führte. In der Küche brannte Licht, aber er wollte sich nicht mit Ogden oder Mrs. Grasse unterhalten.
Sanger würde er am Dienstag anrufen. Heute Abend würde er seine sorgenvollen Gedanken mit Schlaftabletten zum Schweigen bringen. Chandler war in Sicherheit, die Frau auch; Brennan konnte er nicht helfen. Irgendwann musste er sich wieder in seinem Büro sehen lassen. Er brauchte nur Zeit, um seinen Elan wiederzufinden – falls das noch möglich war.
Seit Krasnovskijs Besuch in der Datscha waren kaum mehr als achtundvierzig Stunden vergangen, doch schon hatte Maxim Petrow das unappetitliche Ergebnis des Streichs, den er seinem Gegenspieler spielen wollte, mehr oder
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