Aquila
verstehen, wie urkomisch das ist.«
»Ist mir egal, wie ich mich anhöre, Liam. Kommen Sie einfach 256
zur Sache. Ich bin sehr beschäftigt. Und Liam, bevor ich’s vergesse: Schüchtern Sie Herman nicht so ein!«
»Herman? Wer, zum Kuckuck, ist Herman?«
»Dennis Herman, der junge Mann, der gerade mit Ihnen gesprochen hat. Was wollen Sie, Liam?«
Liam McGonigles Stimme wurde viel weicher, als er sich an dem prekären Gerüst seiner Geschichte auf der Suche nach bildhaften Geistesblitzen entlang tastete, an denen er das unglaubliche Geschehen verankern konnte, damit es nicht unrettbar ins Absurde abdriftete.
»Also, zunächst mal kann ich im Moment CRUSTACEAN
nicht finden, das heißt, Bert. Er ist einfach verschwunden.«
»Ich kenne seinen Namen, Liam. Woraus schließen Sie, dass er verschwunden ist?«
»Weil hier komische Sachen passieren. Wir sind in Maine, in seinem Landhaus, ich stehe in seinem Arbeitszimmer. Wir sind schon den ganzen Nachmittag hier. Und gestern Abend ist hier was Unheimliches passiert.«
»Wie unheimlich?« Sanger winkte zwei Männern zu, die in eine andere Rasenecke geschlendert waren und sich dort angeregt unterhielten. Sie winkten zurück. » Wie unheimlich, Liam?«
»Na ja, das Fenster hier im Arbeitszimmer ist kaputt, überall liegt Glas. Keiner hat versucht aufzuräumen. Die Kugel, die die Scheibe zertrümmert hat, kam von draußen. Andrew hat sie aus einem Buchrücken gepult, aus Montaignes Essais. Draußen sind drei verschiedene Reifenspuren zu sehen, vom Rolls und von einem kleinen Dodge oder Ford. Was es auch war – es ist gestern Abend ausgebrannt. Ich meine, in der Auffahrt hat es ’ne riesige Explosion gegeben und einen Brand. Es war
hundertprozentig ein Auto. Der Gestank liegt noch in der Luft.«
Liam holte tief Luft. Sanger wartete. »Dann sind da noch Spuren von einem Abschleppwagen. Der hat das Wrack abgeholt. Ja, die anderen Reifenabdrücke sind von dem roten Pinto in der 257
Garage.«
»Hmmm.« Sanger war sicher, dass mehr hinter der Sache steckte; aber er hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Prosser war einfach zu alt. Diesen Gedanken hatte er schon seit einigen Jahren, doch er wollte den alten Herrn nicht einfach abservieren
– stammten sie doch aus der gleichen Generation. Gefühle waren schlechte Berater – wie immer. Am Anfang hatte es auch nicht nach einem wichtigen Einsatz ausgesehen. Observierung, Zusammentragen von Informationen. Dann lief alles aus dem Ruder. Seit man diesen Studenten umgebracht hatte, war für Sanger alles ein Rätsel. »Erzählen Sie weiter«, sagte er in neutralem Ton, weil er vermeiden wollte, den armen Liam einzuschüchtern, der im Einsatz noch nie etwas getaugt hatte, obwohl er so viele Jahre jünger war als Prosser. Liam gehörte an den Schreibtisch. Aber Prosser hatte ausdrücklich nach ihm verlangt, zusammen mit Fennerty, und alles hatte so harmlos angefangen.
»Ja.« Liam zögerte. »Dann haben wir einen von der
Gegenseite gefunden, den übrig Gebliebenen, den Kleinen –«
»Ach ja, den mit dem Papitahut.«
»Ihre Erinnerung ist phänomenal«, bemerkte Liam
bewundernd. Sanger lächelte sich in einem runden Spiegel mit goldenem Rahmen zu, der über einer bauchigen Vase mit gelben Blumen hing. »Also, wir haben ihn in einem Brunnenschacht gefunden. Das habe ich gemeint, als ich sagte, Sie hören sich an wie –«
»– aus einem Brunnenschacht? Was hat Sie dazu bewogen, in den Brunnen zu schauen?«
»Wir haben Blutflecken am Rand gesehen und einen Blick hinuntergeworfen. Da war er. Nicht sehr tief. Fast sein ganzer Kopf hat gefehlt. Das meiste davon haben wir oben gefunden, als wir genau hingesehen haben.«
»Was haben Sie mit der Leiche gemacht?«
»Liegen gelassen. Ist doch nur ein Kerl von Moskau.«
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»Moskau?«, unterbrach Sanger. »Wieso Moskau?«
»Keine Ahnung. Nur so ’n Gefühl. Wir können jederzeit rausfinden, für wen er gearbeitet hat.«
»Denken Sie, dass Bert ihn auf dem Gewissen hat?«
»Wer denn sonst?«
»Chandler. Ich nehme an, Sie haben ihn noch nicht gefunden.«
»Nein. Meinen Sie …?«
»Wieso nicht? Chandler wurde von ihnen verfolgt, und vielleicht hatten sie das Pech, ihn zu erwischen. Sagen wir mal so: Ich traue ihm alles zu.«
»Chandler und Brennan«, sinnierte Liam. »Was für ein Gedanke.«
»Ist es richtig, dass Sie immer noch nicht wissen, wer wo ist?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Und wir wissen auch nicht, worauf sie alle scharf sind.
Stimmt’s?
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