Aquila
Dann zog sie an ihrer Zigarette und schnippte den Rest ins Feuer.
»Erzählen Sie mir alles«, forderte sie ihn auf. »Ich glaube, es wird spannend.«
»Wie schon gesagt, Miss Bishop: Es ist ganz allein Ihre Schuld.«
Er saß dicht vor dem Kamin, ihr gegenüber. »Es war
unglaublich … Der Kerl im Pepitahut hat zu dem Großen mit der tiefen Stimme gesagt, er soll mir eine verpassen. Der hat mir mit der Faust ins Gesicht und aufs Ohr geschlagen. George Washington hatte er auch schon zertrümmert.«
»George Washington. Aha.«
»Dann wollte er mir mit der Zange die Fingernägel rausreißen
…«
»Was hat ihn dran gehindert?«
»Na ja, ich war inzwischen ziemlich in Rage, und natürlich
hatte ich eine Heidenangst –«
»Natürlich. Kann man verstehen.«
»Und ich war sauer wegen George. Dann spürte ich das kalte Metall der Zange auf meinen Fingern …« Während er erzählte, spürte er es wieder – und den Ruck an seinem Nagel. »Und dann habe ich ihm den heißen Kaffee ins Gesicht gekippt und den Kleinen mit George Washingtons Sockel eins übergebraten und bin weggerannt.«
»Wo war das? Und wann?«
»In Cambridge. In meinem Haus.« Er schluckte. »Vorhin, bevor ich zu Ihnen kam.«
»Wer waren die beiden? Haben Sie sie gekannt? Was wollten die von Ihnen? Waren es Einbrecher?«
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»Einbrecher! Die ziehen doch nicht die Nummer mit den Fingernägeln ab! Es waren ganz sicher keine. Was für eine Reporterin!«
»Jetzt erklären Sie mir noch mal, wieso das alles meine Schuld sein soll. Ich möchte hier klar sehen.« Sie streichelte Ezzard, der zufrieden schnurrte. Anscheinend war er von seinen Amouren erschöpft.
»Ich will Ihnen eins sagen: Bis letzten Mittwoch war ich ein vollkommen unbedarfter Universitätsprofessor. Abgeschirmt von den unangenehmen Realitäten des Lebens. Sicher, Bill Davis tat mir leid, aber ich war nicht persönlich betroffen: Ich hatte ihn nicht gekannt. Dann tauchen Sie in meiner Vorlesung auf und fallen über mich her wie eine Furie. Sie lassen Ihre weißen Zähne blitzen und stellen mir eine Falle! Sie haben mit Tricks und Unterstellungen gearbeitet und waren mit Fernsehkameras bewaffnet. Das alles benutzten Sie, um mich mit dem Mord an Bill Davis in Verbindung zu bringen – völlig zu Unrecht, versteht sich. Eine Menge Leute hat die Übertragung gesehen, darunter auch der Mörder. Weshalb wollte er Professor Chandler unbedingt sprechen? Das waren Ihre Worte, glaube ich. Damit hatten Sie mich in wenigen Minuten aus der Geborgenheit Harvards mitten in einen Mordfall katapultiert.«
»Sie waren der Betreuer des Jungen.« Ezzards Augen
lächelten, als sie ihm mit dem Finger über den Hals strich.
»Unmittelbar vor seinem Tod wollte er Sie sprechen. Aber ich möchte nicht mit Ihnen streiten.« Sie biss sich auf den Daumennagel und starrte gedankenverloren in die Glut. Schatten spielten auf ihrem Gesicht. »Ich frage mich, was er bis zu seinem Tod gemacht hat, nachdem er Ihr Büro verlassen hatte.
War er wirklich in Underhills Laden? Sein Name stand auf Underhills Notizblock. Bill könnte dort gewesen sein. Aber weshalb?« Sie blickte rasch auf. »Wie auch immer: Sie sind zweifellos Teil des Falls.«
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»Guter Gott! Mit Ihnen lässt sich nicht argumentieren«, seufzte Chandler.
»Sagen Sie mir einfach, was passiert ist – ohne Umschweife.
Denken Sie dran, dass Sie hergekommen sind –«
»Weil Sie an meiner ganzen Misere schuld sind.«
»Weiter«, sagte sie geduldig. Und nachsichtig. Offenbar ließ sie sich weniger von Gewalt und Gefahr beeindrucken als er.
»Also gut. Von Anfang an. Ich erinnerte mich an etwas, das Bill Davis zu mir gesagt hatte: Er habe etwas Sensationelles, das ich für ihn verifizieren solle. Aber er verriet mir nicht, worum es ging. Ein Schriftstück? Ein alter Gegenstand? Etwas anderes kann ich von Berufs wegen nicht begutachten. Das könnte jedoch erklären, weshalb er den armen alten Underhill aufsuchte.« Er hörte seinen Atem hässlich durch die verengte Nasenpassage pfeifen. Seine Augen brannten vor Müdigkeit.
»Muss etwas aus der Revolutionszeit sein«, meinte sie.
»Warum kam er sonst gerade zu Ihnen?«
»Am gleichen Abend sah ich Ihr Interview mit mir im Fernsehen: Polly Bishop, unerschrocken im Kampf gegen das Verbrechen. Ich habe die Reklame für die Sendung gesehen.
Nichts ist Ihnen zu schäbig, um auch noch den letzten trübäugigen und unentschlossenen Zuschauer zu ködern. Also, ich verfolgte das verdammte Interview und
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