Aquila
Chandler.
»Der Typ hat keine Knete, Lady«, erklärte der Fahrer geduldig. »Ich glaube, er will die Fahrt von Ihnen schnorren.
Sechs achtzig. Sechs achtzig, und ich bin weg. Sie können sich dann mit dem Kerl im Hausmantel einigen.«
»Ach ja.« Mit Ezzard im Arm stand sie auf. »Ich bin gleich wieder da.« Sie verschwand im Haus und schloss die Tür. Nach einer knappen Minute war sie zurück. Während dieser Zeit hatte der Taxifahrer »Hello, Dolly« vor sich hin gepfiffen. »Acht Dollar«, sagte sie. »Und seien Sie vorsichtig, wenn Sie nachts Leute im Hausmantel einsteigen lassen. Gute Nacht.«
»He, Sie sind die vom Fernsehen …«
»Gute Nacht.« Sie lächelte mit blitzenden weißen Zähnen.
»Und vielen Dank.«
Als das Taxi davonfuhr, winkte sie Chandler mit dem Zeigefinger. »Kommen Sie schon, Professor. Offenbar brauchen Sie etwas.«
»Hilfe, Miss Bishop. Man nennt das Hilfe.«
»Ezzard hat seinen Namen von einem früheren
Schwergewichtsmeister. Und ich bin auch nicht von schlechten Eltern.« Sie führte ihn zum Eingang. Ezzard gähnte innen auf der warmen Treppe und entblößte seine kleinen blanken Raubtierzähne. »Bei uns sind Sie genau richtig.«
Im Licht an der Treppe sah Polly ihn sich genauer an. »Sie brauchen tatsächlich Hilfe.« Auf Zehenspitzen inspizierte sie seine Nase. »Sie bluten. Sie sind voller Dreck.« Sie unterdrückte 99
ein Kichern und lächelte. »Aber Sie leben …«
»Lachen Sie nicht«, brummelte er. »Sie sollten die andern Kerle sehen.« Sein Ohr pulsierte. Es fühlte sich an, als sei es mit einem Korken zugestopft. Ihm zitterten die Knie, und er kam sich alt und ausgepumpt vor. Es gelang ihm nicht, auf Polly Bishop richtig böse zu sein.
»Macho-Gehabe!« Sie nahm ihn beim Arm und führte ihn langsam die Treppe hinauf. »Ich merke aber, dass Sie eine üble Nacht hinter sich haben. Erinnert mich an Starsky und Hutch.
Kommen Sie rauf, dann sehen wir, dass wir Sie wieder hinkriegen.« Der Kater sprang nach oben und sah ihm neugierig zu, als er sich am Geländer hochzog.
»Ich bin ein bisschen zittrig und friere wie ein Hund.«
Sie platzierte ihn auf einem Stuhl am Küchentisch und ließ Wasser ins Waschbecken laufen. Er beobachtete, wie ruhig und sicher sie sich bewegte. Sie legte ein Geschirrtuch und eine Schachtel Kleenex auf den Tisch und stellte eine Metallschüssel und eine Flasche Courvoisier dazu.
»Lehnen Sie den Kopf zurück und machen Sie Ihre Augen zu.
Wollen mal sehen, was hier nicht stimmt.«
Er spürte ihre weichen Fingerspitzen auf seinem Nasenrücken.
»Tut’s weh?«
»Nein«, krächzte er, »aber meine Nase ist verstopft!«
»Blut.« Er schloss die Augen und hörte, wie sie das Tuch auswand. »Ich glaube nicht, dass Ihre Nase gebrochen ist. Da haben Sie Glück. Während der Schulzeit habe ich mir mal die Nase gebrochen, beim Feldhockey. Es ist wahnsinnig lästig, durch den Mund zu atmen. Man kann auch schlecht essen. Ich weiß das noch so genau, weil ich kurz vorher meine erste Pizza gegessen habe, und mit der eingedrückten Nase hatte ich das Gefühl, ich müsste ersticken. Dabei war ich so gierig nach Pizza
…« Er spürte, wie sie ihm mit lauwarmem Wasser und sanften Bewegungen das Blut unter der Nase abwischte. Er hörte ihre sanfte, beruhigende Stimme. O Gott – alles würde wieder gut 100
werden. Sie tupfte das geronnene Blut aus seinen Mundwinkeln, von der aufgeplatzten Lippe und von seinem Kinn. Es tat nicht weh. Sie ging sehr zart mit ihm um.
»Schauen Sie sich mein Ohr an«, bat er. Er öffnete die Augen.
Ihr Gesicht war dicht vor ihm. Er konnte die Poren ihrer Haut sehen, die Fältchen in den Mundwinkeln, die schmale Linie ihrer Lippen. Aus zusammengekniffenen Augen sah sie ihn durch ihre runde Nickelbrille an und tupfte ihm sorgsam das Wasser vom Kinn. Auf dem Tisch lagen ein paar nasse Zellstofftücher mit rosa Flecken.
»Können Sie mich hören?«, flüsterte sie in sein verletztes Ohr.
Er nickte.
»Schön. Dem Ohr fehlt wohl nichts. Ich wische das Blut ab.«
Sie tastete vorsichtig mit einem Finger. »Oh, Sie haben einen kleinen Riss in Ihrem Ohrläppchen.«
»Sie nehmen das unnatürlich gelassen auf«, sagte er. »Wenn einem mitten in der Nacht ein blutüberströmter Typ ins Haus schneit, würden die meisten Frauen –«
»Stopp! Sie wissen gar nichts über die meisten Frauen. Sie kennen bloß die längst überholten Klischees – das sollten Sie in Zukunft berücksichtigen.«
»Bitte halten Sie mir keine
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