Aquila
Herren?«
Thorny grunzte.
»Halten Sie also Chandlers Haus unter Beobachtung. Denken Sie, Sie kriegen das hin?« Er seufzte hörbar. »Und reden Sie mit Nora Thompson … Die Masche mit der Staatsanwaltschaft dürfte bei ihr verfangen. Zeigen Sie Ihre Ausweise. Und bringen Sie sie um Himmels willen nicht um. Reißen Sie ihr nicht die Fingernägel aus. Denken Sie dran: Wir sind alle Geschöpfe Gottes. Sogar Sie beide.« Er stand auf. »Gehen Sie jetzt. Sie wissen, wie Sie mich erreichen.« Er trat an das riesige Fenster und drehte ihnen den Rücken zu. Schwer atmend, keuchend und stöhnend traten sie den Rückzug zum Fahrstuhl an.
Der alte Herr stand still in der etwas unheimlichen Finsternis und überlegte, was in den vergangenen Tagen alles schief gelaufen war. Vielleicht ließ seine geistige Beweglichkeit nach.
Zwischen einem Einsatzteam und dem anderen hin und her zu springen machte ihm nicht mehr so viel Vergnügen wie einst. Er hatte sich manchmal sogar darauf gefreut, in Würde alt zu werden. Ein Jux! Viele Dinge entwickelten sich eben anders als geplant.
Er sah zu, wie der Himmel über dem Atlantik heller wurde und die noch dunkle Stadt in ein muffiges, feuchtes Grau hüllte.
Immer noch spritzten Regentropfen auf die riesige Scheibe. Er 116
klopfte seine Pfeife auf dem Zementboden aus und steckte sie in seinen Regenmantel. Bevor er ging, sah er noch durch das Teleskop, das einmal Touristen anlocken sollte, wenn die Besucherplattform fertig war. Boston zeigte sich ihm in allen Feinheiten. Irgendwo da draußen in der regennassen Stadt versteckte sich Chandler. Hatte er durch die unerwartete Konfrontation mit einer besonders üblen Form von Gewalt einen Schock erlitten? Irgendwo musste er müde und durchnässt in seinem Bademantel herumirren. Bestimmt fühlte er sich in die Enge getrieben. Was konnte er tun? Wohin konnte er gehen?
Das Teleskop richtete sich auf die weißen Türme von Harvard, die Privathäuser der Commonwealth Avenue, das riesenhafte Reiterstandbild von George Washington im Park, direkt unter ihm. Er schwenkte auf Beacon Hill und die goldene Kuppel, die der Regen und das düstere Morgenlicht stumpf gemacht hatten.
Irgendwo da draußen war Chandler. Wusste er, wo das verdammte Päckchen zu finden war?
Er ließ das Teleskop sinken und drückte den Fahrstuhlknopf.
Während er wartete, stopfte er sich aus seinem Wildlederbeutel ein Pfeifchen. Chandler war wohl der Schlüssel. Das Päckchen konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Chandler musste ihn hinführen, nachdem Davis und Underhill ausgeschieden waren.
Und wenn Chandler die Nase voll hatte? Er betrat den Aufzug.
Gab es eine Möglichkeit, den Mann zu provozieren? Wenn er das Päckchen fand, waren sie aus dem Schneider … Dann brauchte er bloß noch Andrew und Liam einerseits und Thorny und Ozzie andererseits an der Kandare zu halten. Kein Kinderspiel für einen müden alten Mann!
Im Rolls-Royce zündete er sich die Pfeife an. Er sagte sich im Stillen, dass er bislang immer noch auf die Füße gefallen war.
Vielleicht klappte es auch diesmal.
Als Chandler aufwachte, leckte sich Ezzard wie ein
Unschuldslamm auf seiner Brust die Pfoten und pflegte seine 117
Schnurrbarthaare. Es war halb acht, und es regnete. Aus der Küche kamen Frühstücksgeräusche. Es roch nach Kaffee. »Hau ab, Kater«, stöhnte er. Er fühlte sich steif und hatte Schmerzen in der Nase und im Ohr. Er hatte mit offenem Mund geschlafen, weil er durch die Nase keine Luft bekam. Seine Zunge erinnerte ihn an ein Katzenklo.
Polly aß gerade einen Muffin und las dabei den Globe, als er in die Küche taumelte. Über den Rand ihrer Kaffeetasse nickte sie ihm zu. Sie trug einen dicken blauen Pullover und Jeans.
»Schreiben Sie auf, was Sie an Kleidung brauchen«, sagte sie.
»Ich fahre zuerst zu Ihrem Haus.«
»Machen Sie Witze? Vielleicht beobachten sie das Haus.«
»Keine Angst. Ich fahre vorbei, und wenn ich etwas bemerke, rufe ich Sie an und hole ein paar Sachen aus dem Co-op. Sie können sich auf mich verlassen. Sie sehen ziemlich verkatert aus. Essen Sie was, damit Sie zu Kräften kommen.« Sie legte die Zeitung weg und fing auf Schmierpapier eine Liste an. »Wie fühlen Sie sich?«
»Ganz prima für einen Mann in meinem Alter, der mitten in der Nacht zusammengeschlagen und durch halb Boston gejagt wurde. Ein paar Muffins dürften mich wieder auf die Beine bringen.« Er zerteilte einen Muffin und steckte die beiden Hälften in den Toaster.
»Na gut.
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