Aquila
den Taschen seiner karierten Jacke vergraben, und unter der Hakennase hing ihm eine Zigarre im Mund. Chandler beobachtete, wie er sich ihm plötzlich zuwandte und ihn anstarrte. Dann kam er über eine ausgetretene Holztreppe, die vom Strand zum Gehsteig führte, zu ihm hoch.
Der Mann mit dem kantigen Kinn und dem grauen Stoppelbart war um die sechzig, groß und breitschultrig, sein Gesicht wettergegerbt und mit einem Netz von roten Adern durchzogen.
Die abgetragene Kapitänsmütze sah aus, als würde sie zu den Sachen im Schaufenster gehören. Er hatte tief liegende hellgraue Augen und eine kräftige Stimme, wie sie Chandler schon bei Leuten aufgefallen war, die gewöhnt sind, ihre Probleme allein und auf ihre Weise zu lösen. Er hatte den festen Blick eines Comic-Helden und auch die dazu gehörigen scharfen
Gesichtszüge.
»Hallo!«, sagte er, als er oben anlangte. »Düsterer Morgen, düsterer Tag. Versetzt mich immer in gute Laune. Suchen Sie jemanden?«
»Kendrick.«
»So, Kendrick.« Er ging auf den Laden zu. »Den alten Kendrick.Was wollen Sie von dem alten Dussel?«
»Das würde ich ihm lieber selbst sagen.«
»Verschwiegen – das gefällt mir.« Er lachte leise. Vor dem Fenster blieb er stehen. »Die Kätzchen gefallen Ihnen, Miss?
Hilflose kleine Kerlchen.« Im Fenster waren vier Katzenbabys zu sehen, die stolperten und umfielen und gleich wieder aufstanden und weitertaumelten. »Wollen Sie den beiden hier guten Tag sagen?« Er zog seine Hände aus den Taschen und hielt in jeder ein winziges Kätzchen.
»Sind die süß! Richtige Babys!«
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»Ich hatte immer ’ne Schwäche für Katzen, überall, wo ich war. Katze bleibt Katze.«
»Sind das Ihre?«
»Ja. Es dürften über zwanzig sein.« Er sah Chandler an. »Ich bin Kendrick. Und wer sind Sie?«
»Bert Prosser schickt uns zu Ihnen.« Chandler runzelte die Stirn, weil er sich fragte, wieso Kendrick so ein Katz- und Mausspiel um seine Identität veranstaltet hatte. »Mein Name ist Chandler, und das ist Miss Bishop.«
Kendrick nickte, während Polly den beiden Kätzchen über die Nase strich. »Ich hab was über Sie in der Zeitung gelesen«, sagte er vieldeutig. Dann verstaute der die kleinen Katzen wieder in seinen Taschen und schloss die Ladentür auf. »Setzen wir uns doch und trinken was, um die Knochen zu wärmen.«
Bevor er sie in Richtung der einzelnen Lampe an obskuren Stapeln und aufgehäuften Gegenständen vorbei in den rückwärtigen Ladenteil führte, füllte seine Gestalt einen Augenblick lang den Türrahmen. Es roch nach Maschinenöl und Tauen, und es zog. »Nicht viel los zu dieser Jahreszeit«, bemerkte er, ohne sich umzudrehen. Die Kätzchen hatten ihren Weg aus dem Schaufenster gefunden. Chandler hörte ihre weichen Tatzen und hoffte, dass er sie nicht zertreten würde.
Polly nahm ein paar der kleinen schwarzfelligen Tierchen auf den Arm. Katzenklo! Er konnte riechen, wie es stank, und stöhnte innerlich.
In dem großen, voll gepfropften Büro hing der kalte Rauch von ungezählten Zigarren. Kendrick machte noch einen Zug, bevor er seine Zigarre sorgsam auf dem breiten Rand eines Aschenbechers aus dickem Glas ablegte, der in einem Gummireifen verankert war. Solche Aschenbecher hatte Chandler seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen, als sein Großvater genau den gleichen auf seinem Schreibtisch stehen gehabt hatte.
Kendrick hängte seine Jacke an eine breite Garderobe. Er trug 248
Hosenträger über dem karierten Flanellhemd und schwere Cordhosen. Ein Raumstrahler machte die Zimmerluft trocken und muffig. Die Katzen lagen überall, selbst auf den Papieren auf dem Rollpult. Er verscheuchte eine Katze von einem ziemlich windigen Drehstuhl und zog zwei zerschundene Metallstühle heran.
»Setzt euch, Freunde. Nehmt einen Sorgenbrecher zur Brust.«
Aus der obersten Schublade holte er eine Flasche Bourbon, stellte drei Gläser hin, die er aus einem Regal über dem Schreibtisch nahm, und schenkte jedem, ohne zu fragen, zwei Finger breit ein.
»Prost!«, sagte er und kippte sein Glas hinunter. Polly und Chandler nippten an den ihren. »Wild Turkey. Man muss wissen, wofür man sein Geld ausgibt. Also, Bert Prosser, der gute alte Bert. In der Zeitung steht, Sie sind Historiker, Sir.
Sagen Sie, kennen Sie seine Geschichte? Ich schon. Ich kenn ihn seit Indien, seit dem Zweiten Weltkrieg. Da bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Aalglatt und gerissen. Genau das, was wir brauchten. Abwehroffizier. Ich war Pilot. Habe Bert hierhin
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