Arabellas Geheimnis
Beweggründe ein? Wie sie die Geschichte auch drehte und wendete, sie kam zu der Erklärung, dass sein Benehmen in ihrer Hochzeitsnacht sein Verlangen, die Distanz zu ihr aufrechtzuerhalten, nur noch betonte. Vielleicht war das so, weil sie nicht die Frau war, die er liebte – Elizabeth. Vielleicht glaubte er auch einfach nicht, dass es eine Hingabe, wie sie Tristan und Isolde miteinander geteilt hatten, wirklich gab.
Und nach allem, was Arabella wusste, gab es sie vielleicht auch nicht. Die Erkenntnis lag schwer auf ihrem Herzen, als sie Tristans Zimmer erreicht hatten und er die Tür hinter ihnen verriegelte.
Er stellte sie auf die Füße, nahm ihr die Kleider für den morgigen Tagaus der Hand und warf sie auf eine Bank nahe der Waschschüssel. Schweigend trat er zum Kamin, um das Feuer zu schüren, das fast nur noch schwach vor sich hin glomm. Da die Sonne noch nicht untergegangen war, hatte sich noch kein Diener um die Feuerstelle gekümmert.
„Du könntest mir Ärger ersparen und auf den Wimpel verzichten“, meinte er. Er machte sich an den Holzscheiten zu schaffen. „Was ihn betrifft, so würde ich ihn mit Freuden als Zunder benutzen.“
Arabella konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Sie hatte nicht lange gebraucht, um zu merken, dass dieses hinderliche Kleidungsstück ihr nicht stand. Immerhin hatte es verhindert, dass ihre Haare den ganzen Tag lang ihre Sinne reizten, ihr über die Haut strichen und sie daran erinnerten, auf welch vielfältige Weise Tristan sie in der Nacht zuvor berührt hatte.
Das Band lösend, befreite sie sich von dem Leinen.
In Tristans Nähe so etwas Intimes zu tun wie ein Kleidungsstück abzulegen, jagte Arabella trotz des lodernden Feuers, zu dem er die Glut rasch entfacht hatte, einen Schauer über den Rücken. Sie zog die Nadeln aus der Zopfkrone, aber sie war dabei nicht halb so geschickt wie Hilda und ließ die Nadeln auf die Binsenmatte fallen, die den Boden bedeckte.
„Ich helfe dir.“ Tristan erhob sich von seinem Platz vor dem Kamin. „Komm her.“
Arabella zögerte. Sie wusste, dass seine Berührung sie nur noch schneller dazu bringen würde, zu viel für ihn zu empfinden. Bereits schon einmal hatte er ihre Abwehr durchbrochen. Sie befürchtete, dass es ihm nur allzu leicht wieder gelingen könnte. Allein die Aussicht, ihn jetzt so nahe bei sich zu wissen, ließ ihre Haut bereits erglühen.
Er griff nach ihr und führte sie zum Feuer. Dann hob er die Hände und zog eine Nadel nach der anderen aus den Zöpfen, bis er sie in ihrer ganzen Länge gelöst hatte.
„Du zeigst ein ungewöhnliches Geschick im Umgang mit Haarnadeln.“ Sie bemühte sich mit aller Kraft, die Augen offen zu halten, während er ihr den Nacken und die Schläfen massierte.
„Auch noch in einigen anderen Dingen. Wie ein Heiler, so absolviert auch ein Ritter eine Lehre. Wir sind nicht so einfältig, wie du glaubst.“
„Es tut mir leid.“ Die Erinnerung an die Worte, die er nicht verdient hatte, trieb ihr die Röte ins Gesicht. „Meine Mutter schwor, ich würde noch lange nachdem ich eine erwachsene Frau geworden wäre, Launen haben wie ein Kind.“
„Zorn ist nur eine andere Seite der Leidenschaft. Ich glaube, mir hat man ihn in meiner Kindheit sorgfältig herausgeprügelt. Doch an jenem Tag in Calais – als ich Thadus bei dir sah – erkannte ich, dass ich irgendwo in meinem Innern noch eine gute Portion dunkler Gefühle bewahrt haben muss.“
Er entfernte die Bänder aus ihren dicken Zöpfen und begann, diese zu entflechten. Während er mit den Fingern durch jede Strähne fuhr, schüttelte er das Haar leicht, um es aufzulockern.
„Ich möchte nicht, dass je ein Kind von mir geschlagen wird.“ Bis jetzt hatte Arabella nicht an die Kinder gedacht, die sie ihrem Gatten eines Tages schenken würde. Doch der Gedanke, ihr Sohn könnte durch Schläge zum Krieger erzogen werden, ließ eine Welle von Übelkeit in ihr aufsteigen.
„Ich würde jeden verprügeln, der mein Kind anrührt.“ Tristans Worte waren deutlich genug, und etwas an seinem Ton ließ vermuten, dass er nicht weiter über das Thema sprechen wollte. Arabella musste an den Tag in Köln zurückdenken, als er sich geweigert hatte, über sich und seine Vergangenheit zu reden.
„War es schwer, ein Findelkind zu sein?“ Sie war ohne Vater groß geworden, doch die Liebe ihrer Mutter hatte ausgereicht.
Sie wartete darauf, dass er etwas erwiderte und staunte, weil er nicht aufhörte, ihr beim Frisieren zu
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