Arabische Nächte
herrschte ein derartig starker Zug, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Der Wind pfiff durch die Fensterritzen und wölbte die schweren Vorhänge, die zum Schutz davor hingen. War das Feuer heruntergebrannt, röhrte es in ihrem kleinen Kamin wie in einem Furcht erregenden Spukturm. Das kalte Abendbrot, das Bersham servierte, lag ihr schwer im Magen, wozu auch die Nachricht beitrug, dass der Viscount weder sie noch eine der Töchter sehen wollte. Sie wälzte sich noch immer schlaflos in ihrem Bett, als es irgendwo in den Tiefen des Hauses zwei Uhr schlug.
Der erste Schrei ließ sie im Bett auffahren. Sich gegen die Dunkelheit anspannend, die mehr wie eine Hülle als ein Nichts war, lauschte sie nach irgendwelchen Lebenszeichen. Hatte sie geträumt?
Der zweite Schrei, der Schmerzensschrei eines Mannes, brach ab, als er den Höhepunkt erreichte, und ließ sie die Zähne zusammenbeißen.
»Lieber Gott!«, rief sie aus und tastete auch schon nach dem Feuerstein. Drohte unter diesem Dach ein Mord?
Ihre Hände zitterten so heftig, dass sie den Feuerstein mehrmals schlagen musste, ehe es einen Funken gab, der den Feuerschwamm entzündete. Als sie es geschafft hatte, setzte lautes Ächzen ein. Sie führte das Flämmchen an die Kerze neben dem Bett und flüsterte ein Gebet um Erlösung von dem Schrecklichen, das sich jenseits ihrer Tür begab.
Japonica war nicht feige; doch als sie nach ihrem Umschlagtuch tastete und in die Pantoffeln schlüpfte, fragte sie sich, ob es klug war, die Tür zu öffnen. Was konnte sie denn für die arme Seele tun, die in die Hände eines Angreifers gefallen war? Nicht einmal einen Stock hatte sie zur Hand. Den schlanken Kerzenleuchter ergreifend, blickte sie sich suchend nach etwas um, das als Waffe dienen konnte.
Über ihr im Dachgeschoss hörte man Laufschritte. Das Personal war erwacht. Sie holte aus ihrem Gepäck einen kleinen Dolch, den Aggie ihr mitgegeben hatte - >damit du die diebischen Engländer abwehren kannst< machte sich mit einem tiefen Atemzug Mut und lief los.
Kaum hatte sie den Riegel angehoben, als fünf Fräulein in Nachthäubchen die Tür aufrissen.
Peony und Alyssum warfen sich ihr so heftig entgegen, dass sie sie fast umstießen. »Hilf uns! Bitte!«
»Ja, rette uns!«, kreischte Laurel. »Wir werden noch in unseren Betten überfallen!«
Hyacinthe, die unter diesen Umständen ihre Dauerverachtung glatt vergaß, hatte sich mit verrutschtem Häubchen und vor Schreck geweiteten Augen ebenfalls eingefunden. Der Kerzenleuchter in ihrer Hand schwankte bedrohlich. »Du musst etwas tun!«
Cynara, die sich als Letzte durchzwängte, schloss die Tür wieder und schob den Riegel vor. »Der Teufel will uns holen!«
»Pst«, befahl Japonica, obwohl sie ebenso bebte wie die Mädchen, die bei ihr Schutz suchten. Sie verscheuchte sie von der Tür. »Was habt ihr gesehen und gehört?«
Die Schreie setzten wieder ein, ehe eines der Mädchen antworten konnte. Peony drückte jammernd das Gesicht an Alyssums Schulter.
»Jemand wird umgebracht!«, flüsterte Laurel, als fürchte sie, ihre Stimme würde ähnliches Unheil über sie bringen.
»Ach, geh nicht hinaus!«, weinte Alyssum, als Japonica sich in Bewegung setzte.
Die verzweifelten Schreie waren zu viel für die junge Hausherrin. Jemand befand sich in Not. Jemand musste ihm helfen. Dieser Jemand war wohl sie. »Wartet hier«, sagte sie energisch. »Verriegelt hinter mir die Tür. Ich komme wieder, wenn ich kann.«
Keines der Mädchen widersprach, aber Peony platzte heraus: »Bitte, s-sei vorsichtig!«
Hewlett-Packard
9
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, war sie allein auf das Licht ihrer Kerze angewiesen, das nur ein paar Fuß weit reichte. Dahinter lag Schwärze. Angst packte sie und ließ sie bis auf die Knochen frösteln. Dann erschien ein schwacher Schein am anderen Ende des Korridors. Sie erkannte das hagere Gesicht des Butlers. Als sie auf ihn zueilte, sah sie, dass eine Frau zu ihm stieß.
»Was geht hier vor?«, fragte sie Bersham, der mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf erschienen war.
»Das kann ich nicht sagen, Mylady.« Er deutete auf die Doppeltür am Ende des Ganges. »Das ist das Gemach seiner Lordschaft.«
»Waren Sie drinnen?«, fragte sie, als das Ächzen dort hinten seinen Fortgang nahm.
»Die Türen wurden von Seiner Lordschaft persönlich versperrt«, sagte die Frau, die wohl die bessere Hälfte des Hausmeisterpaares sein musste. »Mein Jem versucht es von der anderen Seite.«
»Gibt
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