Arabische Nächte
wusste alle Welt, dass Lord Sinclair dieses Kleid für sie gekauft hatte. Trug sie es, würde sie das Feuer ihrer angeblichen Schande schüren; doch das schwarze Kleid, das sie ausgewählt hatte, war in der Tat zu bieder. Ein Funke der Entrüstung und des Trotzes flammte in ihr auf. Wenn man sie für eine Geliebte hielt, konnte sie sich auch wie eine solche kleiden.
»Meinetwegen.«
Kurz vor neun erschien Devlyn in der Residenz der Shrewsburys. Er war im Laufe des Tages ausgezogen und hatte sich im Klub umgekleidet. Seine Tante hätte sich gefreut über seinen Entschluss, den Arm-Haken in die unterste Lade der Ankleidekommode zu verbannen und neue Hemden zu bestellen, bei denen der rechte Ärmel zugenäht war. Er wünschte, er hätte ebenso stolz auf sie sein können - doch zweifelte er an ihrem Verstand, wenn er daran dachte, wie sie sich am Abend zuvor Japonica gegenüber benommen hatte. Freilich war es möglich, dass er während seiner langen Abwesenheit von London den Geschmack an spöttischem Witz und beißendem Humor verloren hatte. Seine Überzeugung, dass seine Tante das öffentliche Interesse an der Viscountess klug gedämpft hätte, erkannte er jedoch als großen Irrtum, noch ehe es zu Mittag läutete. Jemand hatte den Gerüchten neuen Zündstoff geliefert, und der Schwelbrand breitete sich rasch in London aus.
Während er sich tagsüber ein wenig herumtrieb, hatte er erfahren, dass dies den losen Zungen von Howe und Frampton zu verdanken war. Sie hatten in der ganzen Stadt verbreitet, unter welchen Umständen sie der Dowager Viscountess begegnet waren. Sein darauf folgendes Widerstreben, das öffentliche Spektakel des Londoner Gesellschaftslebens mitzumachen, in Verbindung mit der mysteriösen Ankunft der indischen Viscountess<, wie sie in gewissen Kreisen genannt wurde, hatte weiteren, noch boshafteren Klatschmäulern Stoff geliefert. Als Gegenmaßnahme blieb ihm nun nichts anderes übrig, als gemeinsam mit ihr im Rampenlicht zu erscheinen und zu hoffen, dass ein gemessener Auftritt alle Spekulationen eindämmen würde.
Er goss sich einen einzigen kleinen Brandy ein, als er übel gelaunt auf ihr Erscheinen wartete. Ihm selbst konnte es völlig gleichgültig sein, was die Leute dachten; aber ihr, einer Witwe aus den Kolonien, die als bürgerliche Kaufmannstochter einen im Sterben liegenden, mehr als doppelt so alten Viscount geehelicht hatte? Es sprach viel gegen sie; jeder einzelne Punkt für sich stellte schon eine beängstigende Hürde dar - zusammen aber minderten sie ihre Chancen auf allgemeine Akzeptanz in einem Ausmaß, das selbst einen abgebrühten Glücksritter verschreckt hätte.
In einem Zug leerte er sein Glas und drehte sich um, als jemand den Raum betrat.
Das Kleid, das er von einer Kleiderpuppe herunter gekauft hatte, erblickte er nun an einer Gestalt, wie sie nicht vollendeter hätte sein können. Den Busen eng einschließend, umspielte es in duftigen Schichten Hüften und schlanke Schenkel. Ihr Haar, aus dem Gesicht gestrichen und unter einem Netzkäpp-chen zusammengefasst, ringelte sich in ein paar gezügelten, glänzenden Locken an ihren Schläfen. Der einzige Misston im Bild der Schönheit war ihr genervter oder zorniger Gesichtsausdruck. Er konnte es nicht unterscheiden, wusste aber, dass er etwas dagegen tun musste.
Sie blieb in einiger Entfernung vor ihm mit unbewegter Miene stehen. »Nun, findet es Ihre Billigung?«
»Drehen Sie sich um.«
Sofort blitzte Widerstand in ihren dunklen Augen auf. »Ich bin kein Stück Vieh, das auf dem Markt feilgeboten wird.«
Er reagierte, indem er mit den Fingern eine kreisende Bewegung vollführte. Obwohl sich an ihrer aufsässigen Stimmung nichts änderte, folgte sie seinem Befehl.
Während sie sich bewegte, blieb sein Blick momentan an der Wölbung ihres schön gerundeten Busens im Profil und sodann auf ihrem ideal geformten Rücken und den Schultern hängen. Wie hatte er sie jemals unscheinbar oder gar unhübsch finden können? Man verschaffe dem Zaunkönig Pfauengefieder und siehe da, was für ein herrlicher Vogel ans Licht kam! War dies Teil des Geheimnisses, das er immer in ihr geahnt hatte? Oder hatte er es schon einmal gewusst?
Devlyn scheute vor der Versuchung zurück, sein Hirn nach der verlorenen Erinnerung zu zermartern. Heute benötigte er seinen ganzen Verstand, ohne Kopfschmerzen oder Wutanfälle zu riskieren.
Als sie sich ganz herumgedreht hatte, blieb Japonica reglos stehen. Doch ihr Herz pochte mit heftigen Schlägen
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