ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
irgendeine Abwandlung der Zauber zu sein, die er in seiner Burg genutzt hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand einen Zauberbann dieser Größenordnung und dieses Wirkungsbereichs allein hervorbringen kann.« Aralorns Tonfall war fragend.
»Er bewirkt ihn nicht allein«, erwiderte der Wolf. »Er hat klein angefangen. Die Dörfer rund um die Burg des ae’Magi beherbergen noch heute so manchen Bewohner mit starken magischen Kräften. Eine Folge des Umstands, dass über viele Hundert Generationen hinweg so viele vor Saft und Kraft strotzende Magierlehrlinge auf der Burg ein- und ausgegangen sind.« Seine Stimme klang spöttisch. »Die Erwachsenen, die er nicht gefügig machen konnte, hat er ermordet, da selbst ihr Tod seine Kräfte immer noch mehr befeuerte als Menschen mit gar keiner Magie. Aber die, nach denen er lechzte, waren die Kinder – Kinder mit noch ungeschliffenen Kräften und ohne jegliche bisherige Unterweisung …«
Aralorn erschauderte und rieb sich die Arme.
»Du hast gesehen, was er mit den Kindern macht.« Wolfs Ton wurde wieder sanfter. »Hättest du vor fünfzehn Jahren eine abfällige Bemerkung über den ae’Magi gemacht, hätten allenfalls die Anwohner rund um die Burg so heftig darauf reagiert wie Talor. Jetzt sind die Straßen dieser Dörfer leer bis auf alte Frauen und Greise, denn alle anderen sind tot. Er hat sie sich geholt und sie benutzt. Bis hierher nach Sianim sind die Menschen behext vom Bann des ae’Magi. Und er braucht mehr und mehr Opfer, um die Macht seiner Magie zu steigern, also schaut er sich woanders um. Ich schätze, dass Sianim nur die Streuwirkung seines Zaubers abbekommt.«
»Was ist sein Hauptziel?«, fragte sie.
»Wo ist Magie am stärksten? Wo besitzen zahlreiche der Einwohner die Fähigkeit, Zauber zu wirken? Wo hat Magie eine Blütezeit erlebt? Und wo werden Magieanwender seit der Zeit der großen Kriege durch starke Herrscher vor Verfolgung geschützt?«
»Reth«, antwortete sie.
»Reth«, stimmte er zu.
»Mist«, fluchte sie.
3
Die Herberge lag etwa auf halber Strecke zwischen dem kleinen Dorf Torin und dem noch kleineren Dorf Kestral. Sie war solide erbaut worden, um die bittere Kälte des nördlichen Winters draußen zu halten. Wenn meterhoch der Schnee lag, bot sie, in ein Tal zwischen den imposanten Bergen Nordreths geschmiegt, ein malerisches Bild. Doch ohne die kaschierende Schneedecke zeigte das Gebäude bereits erste Spuren von Vernachlässigung und Verfall.
Das Gasthaus hatte viele gute Jahre erlebt, in denen die Jäger aus den Nordlanden die dicken Felle der mannigfaltigen Tiere aus der Bergwildnis hier heruntergebracht hatten. Lange waren Sommer um Sommer Kaufleute von nah und fern in Kestral eingetroffen – dem südlichsten Handelsposten, zu dem die einsiedlerischen Pelzjäger reisten. In den letzten Jahren jedoch waren die Fallensteller immer weniger geworden. Und die Felle, die sie feilboten, waren die Münze kaum wert. Darunter litt die Herberge, ebenso wie die umliegenden Dörfer.
Die Nordlande waren schon von jeher unheimlich gewesen: die Art von Gegend, die ein kluger Mensch wohlweislich mied. Die Fallensteller, die zum Übernachten in die Herberge kamen, brachten stets Geschichten über die Jauler mit, die unsichtbar vor den Winterwinden heulten, um die Menschen in den Wahnsinn zu treiben. Oder von dem Alten Mann vom Berge, einem Wesen, das gar kein Mann war, ganz gleich, wie man es nannte, und das einen Menschen mit nur einem Flüstern reich machen oder aber in eine Bestie verwandeln konnte.
Doch inzwischen gab es neue Geschichten, auch wenn es weniger Geschichtenerzähler gab. So war eines Nachts der Kamerad eines Mannes verschwunden, hatte seine Schlafdecken und Kleider zurückgelassen, ohne dass in dem hohen Schnee die geringsten Spuren zu finden gewesen wären. Ein riesiger Vogel war über einem Lager geschwebt, um dessen loderndes Feuer vier gefrorene Leichen gekauert hatten. Und ein Fallensteller schwor Stein und Bein, er hätte einen Drachen gesehen, obwohl doch jedermann wusste, dass die Drachen seit dem letzten Magierkrieg fort waren.
Ohne die Jäger und Pelzhändler war die Herberge in hohem Maße auf die einheimischen Bauern, die dort ihren Nachttrunk nahmen, und weniger auf Schlafgäste angewiesen. Der einst so schmucke Vorhof war bedeckt mit dem Mist von Pferden und anderem Vieh oder auch von so manchem Zweibeiner.
Drinnen flackerten unstet Talgkerzen und erleuchteten grob gehauene Wände, die einst
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