ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
dem ae’Magi die Übernahme der Regentschaft als großes Verdienst anzurechnen sei. Darüber, was im Hinblick auf den König zu geschehen hatte, waren sich hingegen nicht alle so einig. Sie hörte, wie einer der Bauern verkündete, man müsse alles nur Erdenkliche unternehmen, damit Myr, der arme Kerl, ergriffen und seiner Heilung zugeführt werde. Zustimmendes Gemurmel an seinem Tisch.
Olin, der Gerber von Torin – und darüber hinaus mehr als nur ein bisschen betrunken –, ergriff daraufhin mit lauter Stimme das Wort: »Jeder, dem auch nur irgendwas an Reth liegt, sollte Myr töten und Geoffrey ae’Magi darum bitten, den Thron um unseretwillen zu besteigen. Wer braucht einen Regenten, der aus heiterem Himmel seine eigenen Leute massakriert? Überlegt doch mal, was wäre, wenn wir den Erzmagier zum König hätten? Wir müssten uns keine Sorgen wegen dieser Darraner mehr machen, die drüben in den westlichen Grenzgebieten Anspruch auf unsere Minen erheben.« Er machte eine Pause, um zu rülpsen. »Und mit dem mächtigsten Magier der Welt könnten wir sogar diesem Uriah-Spuk ein Ende bereiten. Die gesamten Nordlande gehörten dann wieder uns. Wir könnten wieder wohlhabend werden.«
Die Gäste der Schenke rutschten unbehaglich auf ihren Bänken hin und her und wandten sich anderen Gesprächsthemen zu; Olin widersprechen wollte jedoch keiner.
Für Aralorn war dies Beweis genug, wenn sie einen gebraucht hätte, dass das, worauf Wolf sie aufmerksam gemacht hatte, tatsächlich stattfand. Ganz Reth war einst völlig vernarrt gewesen in seinen stattlichen Prinzen, der sowohl als Kriegs- wie als Staatsmann in höchstem Maße vielversprechend war – und dass er seinem Großvater, nach Meinung aller zu seiner Zeit ein wahrhaft großer König, wie aus dem Gesicht geschnitten war, hatte ihm auch nicht geschadet. Noch vor zwei Jahren, als Aralorn zuletzt auf einer Mission in Reth unterwegs gewesen war, hätten Olins Worte ihm eine wütende Debatte oder möglicherweise sogar eine deftige Abreibung eingebracht.
Unauffällig nahm Aralorn den Schmutzwassereimer und brachte ihn zum Entleeren nach draußen. Anschließend schlenderte sie hinüber zu den Ställen, wo Schimmer untergebracht war.
Sie hatte sich jedes Mal aufs Neue gegen Rens Bedenken durchsetzen müssen, wenn es darum ging, das Schlachtross mit zu ihren Aufträgen zu nehmen; Schimmer war einfach zu kostbar, um unbemerkt zu bleiben. Talor hatte, wenn er in die Schlacht zog, stets eine alte Münze als Glücksbringer dabei; die war zweifellos viel geeigneter als ein Pferd.
Sie tat, was sie konnte, um den Wert des Pferdes zu kaschieren. Schimmer hatte vor langer Zeit schon gelernt, auf Kommando zu lahmen, was es ein bisschen einfacher machte. Weiterhin nahm sie es mit der Pflege nicht so genau, doch jeder mit einem auch nur halbwegs guten Blick für Pferde erkannte auf Anhieb, dass Schimmer kein Bauernklepper war.
Hier in der Herberge hatte sie gleich zu Beginn erwähnt, dass der Hengst die einzige Hinterlassenschaft darstellte, die ihr geblieben war, nachdem ihr betagter Beschützer gestorben war. Der Gastwirt hatte ihr nicht allzu viele Fragen gestellt, sondern behielt lediglich den größten Teil ihres Wochenlohns für die Unterstellung ein.
Aralorn lehnte sich an die Stalltür und scharrte mit dem Fuß leicht über den Boden. Sofort kam Schimmer zu ihr herüber und stupste sie mit dem Kopf an der Schulter. Wie gewohnt strich sie ihm über das Kinn.
»Das letzte Mal, als ich Myr gesehen hab, hat er auf mich nicht so gewirkt, als könnte er jeden Augenblick durchdrehen«, vertraute sie Schimmer an. »Wie praktisch, dass die Versammlung entschieden hat, den ae’Magi als Regenten einzusetzen. Ich frag mich, wie er das gedreht hat – nur in Reth würde man einen Magier, der sich selbst auf den Thron verhilft, mit offenen Armen begrüßen. Aber es gibt ein paar wirklich mächtige Magier in der Versammlung. Kaum zu glauben, dass er seine Magie auf sie anwenden kann, ohne dass es irgendjemand überhaupt merkt.«
Der Hengst wieherte leise, und Aralorn gab ihm die Karotte, die sie gerettet hatte, bevor diese in irgendeinem fettverschmierten Schmortopf in den Tod gehen konnte. Während Schimmer zufrieden kaute, vergrub sie ihre Hand in seiner struppigen schwarzgrauen Mähne. »Ich könnte damit zu Ren gehen, aber wenn ich an seine derzeitige Haltung dem ae’Magi gegenüber denke, bin ich nicht sicher, was er unternehmen würde – und außerdem weiß er sicher
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