ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
sie sich, die Aufmerksamkeit des Mörders zu erregen; mehr als nahezu jeder andere im Lager war sie imstande, auf sich selbst aufzupassen. Die Spuren um die Leiche herum deuteten darauf hin, dass es sich nur um eine einzelne Person handelte, die allerdings ihr Handwerk offenkundig verstand.
Mit klopfendem Herzen – und dies nicht vor Anstrengung – suchte sie in der Finsternis nach Spuren. Als sie das Lager fast zur Hälfte umrundet hatte, fand sie die andere Wache. Das Herz der Frau lag, immer noch heiß, auf dem Gras, das selbst in der Nacht durch seine dunkle Färbung auffiel.
Vermutlich war sie getötet worden, nachdem Aralorn die erste Leiche entdeckt hatte. Diesmal hatte der Mörder, wohl in dem sicheren Wissen, dass er sich wegen des zweiten Wachpostens keine Sorgen mehr zu machen brauchte, sich mehr Zeit gelassen und das Ritual ordnungsgemäßer ausgeführt. Wenn auch wie zuvor ohne den aktiven Einsatz von Magie, der Wolf (oder irgendjemand anderen im Lager) hätte auf den Plan rufen können. Die Wache war für die Zeremonie aufgeweckt worden, geknebelt, sodass sie keinen Laut von sich geben konnte. Ein kleiner Zinnbecher lag neben der Frau am Boden, besudelt mit Blut.
Sanft schloss Aralorn die weit geöffneten Augen der Toten.
Während sie die Lage überdachte, fiel ihr auf, dass sie sich keine hundert Meter von Wolfs Lagerplatz entfernt befand. Es wäre sicher klüger, zu zweit nach dem Mörder zu suchen, obwohl Wolfs Schlafplatz von hier aus gewiss nicht einfach zu finden sein würde. Immerhin gab es nirgends einen Pfad, der dorthin führte.
Gerade als sie dachte, dass es vielleicht doch besser wäre, den Gegner allein ausfindig zu machen, entdeckte sie den schwachen Schein des dürftigen Feuers, mit dem Wolf sich stets begnügte. Erleichtert seufzte sie auf und setzte sich vorsichtig den steilen Abhang hinunter in Bewegung.
In dem Moment zwang sie plötzlich und ohne Vorwarnung das heftige Aufwallen einer magischen Rückwirkung in die Knie. Sie wartete, bis die Woge von Magie so weit abgeebbt war, dass sie keine Schmerzen mehr verursachte, und rappelte sich dann wieder auf. In der nächsten Sekunde schnappte sie sich einen Stock, benutzte ihn, um das Gleichgewicht zu halten, ließ alle Vorsicht fahren und rutschte blindlings die steile Böschung hinab, ihr Eintreffen mit einer mittelprächtigen Lawine aus Steinen und lockerer Erde ankündigend.
Knapp oberhalb des schmalen, ebenen Bereichs, den Wolf als seinen Lagerplatz in Beschlag genommen hatte, kam sie schlitternd zum Stehen. Wolf, in seiner menschlichen Gestalt, lag reglos auf dem Rücken, seine Augen funkelten vor Wut. Enge, leuchtend weiße Stricke lagen um seine Beine, seine Brust und seinen Hals.
Über ihm stand Edom, in seinem Tun vorübergehend von Aralorn abgelenkt. In seiner rechten Hand hielt er halb erhoben ein Schwert, und es war nicht das Schwert, das er bei dem Übungskampf benutzt hatte. Sanft glühte die Klinge in einem pulsierenden lavendelfarbenen Licht.
Ein eiskalter Schauer lief Aralorn den Rücken hinab, als sie die Waffe als das erkannte, was sie war: ein Seelenfresser. Der letzte von ihnen war angeblich schon vor Jahrhunderten zerstört worden – aber so war das eben mit Überlieferungen, rief sie sich freudlos ins Gedächtnis: Man konnte ihnen keinen Fingerbreit trauen.
Selbst die kleinsten von einem Seelenfresser verursachten Wunden konnten tödlich sein.
Der kleine Felsabsatz, auf dem sie stand, befand sich gerade hoch genug über Edom, dass sie außer Reichweite des Schwerts war. Mit lautem Schrei, um das Feldlager zu warnen, zückte sie ihr Messer und wirbelte es blitzschnell herum, um es an der Klinge zu fassen und zu werfen. Auf diese Entfernung musste sie nicht einmal zielen, und so sirrte es bereits durch die Luft, noch bevor Edom hätte erkennen können, was da eigentlich auf ihn zuflog. Und schon gar nicht hätte er das Kunststück vollbringen sollen, der Wurfwaffe auszuweichen. Trotzdem landete das Messer einfach hinter ihm auf dem Boden.
Die Geschwindigkeit, mit der er sich bewegte, verriet ihr, dass er ein weit besserer Kämpfer war, als er vorgegeben hatte zu sein. Und gut genug, dass er sie in diesem Punkt auch weiterhin mit Leichtigkeit hätte zum Narren halten können. Allerdings waren Darraner Frauen gegenüber in höchstem Maße voreingenommen, dachte sie. Wahrscheinlich hatte Edom sich die Mühe einfach nicht machen wollen.
Sein Gesicht, mehr von dem Schein des Seelenfressers denn von dem
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