ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
annehmen konnte. Obwohl mein Vater komischerweise den Kniff raushatte, mir immer wieder auf die Schliche zu kommen, und er war, wenn es ans Bestrafen ging, ein ziemlich kreativer Geist. Schließlich hab ich mir das Gestaltwandeln dann ganz abgewöhnt.
Das zweite Mal, als ich das Volk meiner Mutter besuchte, war ich schon ein paar Jahre älter. Und bei der Gelegenheit fiel mir etwas auf, das ich beim ersten Mal völlig übersehen hatte. Wenn einer Gestaltwandlerin irgendetwas an ihr nicht gefällt, kann sie es einfach verändern. Findet sie ihre Nase zu lang oder haben ihre Augen nicht die richtige Farbe, lässt sich das mühelos richten. Wenn sie etwas getan hat, worauf sie nicht eben stolz ist, kann sie eine Zeit lang jemand anderes sein, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Sie alle, samt und sonders, verstecken sich hinter ihrer Gestalt, bis es nichts mehr gibt, vor dem es sich zu verstecken lohnt.«
»Sei versichert«, bemerkte Wolf trocken, »so gern ich mich auch vor mir selbst verstecken würde, es wäre mehr dazu vonnöten als nur eine Maske.«
»Warum trägst du sie dann?«, fragte sie. »Und ich meine nicht dort draußen.« Ungehalten wedelte sie mit der Hand in die ungefähre Richtung des Lagers.
»Es befindet sich da«, sagte Wolf und korrigierte ihre Hand, bis sie in eine andere Richtung wies.
»Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte sie verärgert. »Ich bin sicher, dass du einen guten Grund dafür hast, da draußen eine Maske zu tragen. Aber wieso versteckst du dich auch vor mir? Ich werde wohl kaum losrennen und jedem erzählen, wer du bist, falls es das ist, was du fürchtest.«
Er verspannte sich, antwortete jedoch mit der gleichen Offenheit, die auch sie an den Tag gelegt hatte. »Dass ich die Maske trage, hat nichts mit Vertrauen oder mangelndem Vertrauen zu tun.«
Sie hielt seinem Blick stand. »Nein? Es sind doch aber nur wir beide hier in diesem Raum.«
»Höhle«, warf er schwach ein.
Sie ließ sich nicht beirren. »Meinetwegen, von mir aus auch Höhle. Aber eine Maske ist etwas, wohinter man sich versteckt. Und nachdem ich die Einzige hier bin, die dein Gesicht sehen könnte, dann versteckst du dich vor mir . Kurz: Du vertraust mir nicht.«
»Pest und Verdammnis, Aralorn«, sagte er leise, sich ihres Lieblingsfluches bedienend. »Ich hab meine Gründe, dass ich diese Maske trage.« Er tippte mit dem Finger daran. Wenn auch nicht in seiner Stimme, so schwelte in seinen Augen mittlerweile genug Zorn, um eine besonnene Person einen Rückzieher machen zu lassen.
Nicht einmal ihre Freunde hatten Aralorn jemals besonnen genannt.
»Nicht mit mir.« Sie würde nicht zurückweichen.
Er schloss die Augen, holte tief Luft und öffnete sie wieder. Das zornige Funkeln war etwas gewichen, das sie nicht recht einzuordnen wusste. »Die Maske ist ehrlicher als das, was unter ihr ist.« Eine Emotion färbte seine Stimme, doch sie wusste nicht zu sagen, ob es Milde oder Traurigkeit oder gar der gleiche Grimm war, den seine Maske abbildete.
Sie wartete, wusste, wenn sie auf seine obskure Äußerung einging, würde er sie mit seinem verqueren philosophischen Gemengsel so weit auf Abwege zuführen, bis sie vergessen hatte, was sie eigentlich von ihm wollte.
Als er sah, dass sie nichts erwidern würde, sagte er mit matter Stimme: »Ich schätze, Vertrauen zu fassen fällt mir einfach schwer.«
Nichts Sichtbares hielt die Maske auf seinem Gesicht, kein Band hielt sie zurück, als er seine Hände hob und den einfachen Zauber aufhob. Er ergriff die Maske und nahm sie ab. Hatte er gezögert, bevor er ihr sein Gesicht offenbarte? Wahrscheinlich bildete sie sich es nur ein.
Sie war sich sicher gewesen, dass es ihm nur darum gegangen war, seine Identität vor ihr zu verbergen. Wäre sie eine andere gewesen, hätte sie jetzt vielleicht nach Luft geschnappt. Doch sie hatte schon viele Brandopfer gesehen, sogar einige, die noch übler zugerichtet waren als er – die meisten davon tot. Der Bereich um die goldenen Augen herum war narbenlos, als ob er sie mit einem Arm geschützt hätte. Das restliche Gesicht entsprach ganz seiner Stimme: Es hätte das einer Leiche sein können. Die Haut besaß das gleiche eigentümlich gestraffte Aussehen, und seine Lippen waren derart gespannt, dass er Schwierigkeiten beim Essen haben musste. Jetzt wusste sie auch, warum seine Stimme immer so seltsam dumpf geklungen hatte und seine Worte in Menschenform sogar noch undeutlicher artikuliert gewesen waren als in
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