ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
Bibliothek.
Vorsichtig und ohne es zu öffnen nahm sie das Buch abermals aus dem Regal und betrachtete es genauer. Jetzt, da sie aufmerksam hinsah, konnte sie auch die schwache, kaum wahrnehmbare magische Aura erkennen, die in den Stoffüberzug des holzverstärkten Einbands gewoben war.
Nur um ganz sicherzugehen, brachte sie Wolf das Buch zur Inspektion.
»Verschlossen«, bestätigte er und sandte einen magischen Blitz auf den Einband. Ein Knall, ein beißender Geruch, dann stieg eine kleine Staubwolke auf und sank wieder auf den Buchdeckel zurück. Er öffnete es und sah es flüchtig durch. »Kein Zauberbuch. Sieht aus, als könnte es ein Tagebuch sein.«
Sie setzte sich mit ihrem Fund an den Tisch – weil gerade nichts Besseres zu tun war. Weniger ein Tagebuch, enthielt der Foliant die autobiographische (übersteigerte) Geschichte des unbedeutenden Königs eines längst vergessenen Reichs. Als Ablenkung von den blutrünstigen Details aus Wolfs Vortrag, die sich in ihrem Kopf auszuleben versuchten, lag es in der Rangliste so ziemlich gleichauf mit Löcher-in-die-Erde-buddeln und Nähen. Sie wusste beim besten Willen nicht, wieso jemand es für kostbar genug halten sollte, um es mit einem magischen Schloss zu versehen.
»Wolf«, sagte sie, auf aufgeschlagene Seiten starrend. Besser sie fragte ihn, anstatt selbst herauszufinden zu versuchen, was hier vorging.
»Hmm?«
»Befindet sich außer uns noch jemand in deiner Bibliothek?«
»Hmm«, sagte er noch einmal, und es folgte ein gedämpfter Knall, als er sein Buch auf dem Tisch ablegte. Aralorn tat es ihm gleich. »Was veranlasst dich zu der Frage?«
Sie berichtete ihm von ihren seltsamen Erfahrungen, wobei sie den letzten Vorfall verschwieg, um sich den zu erwartenden Rüffel zu ersparen. Als sie geendet hatte, nickte er.
»Diese Berge sind bekannt dafür, dass hier merkwürdige Dinge geschehen können, denk nur an Astrids Führer durch die Höhlen. Irgendeine Art Gespenst oder Geist wäre hier durchaus denkbar.« Er machte eine Pause. »Davon abgesehen … Wenn ich all diese Bücher aus der Burg des ae’Magi herbringen konnte, wäre es doch durchaus möglich, dass etwas mit ihnen kam.«
Es klang nicht so, als würde ihm das allzu große Sorgen bereiten.
Er blickte zu ihr herüber, sah ihr Gesicht und zuckte mit den Schultern. »Was immer auch hier ist, bis jetzt hat es sich relativ entgegenkommend gezeigt. Es hätte auch genauso gut deine Notizen verstecken oder Astrid in eins der Löcher fallen lassen können. Eingedenk dessen, dass wir es mit dem ae’Magi zu tun haben, ist dies zweifellos unser geringstes Problem.«
Als sie die Höhlen verließen, war es draußen immer noch hell. Der Himmel war leicht bewölkt, doch der Wind kam von Süden und war daher einigermaßen warm.
Aralorn holte tief Luft und ergriff gleichzeitig Wolfs Arm. »Hab ich mich eigentlich schon bei dir dafür bedankt, dass du mich davor gerettet hast, weitere sechs Monate in der Herberge den Boden zu wischen, oder wie lange Ren mich auch immer dort verschimmeln lassen wollte?«, sagte sie.
Er kam aus dem Tritt, als sie seinen Arm nahm, und versteifte sich ein wenig. Sie hätte ihn ja wieder losgelassen, aber er legte seine Hand auf ihre, dort, wo sie sich in seinen Ellbogen eingehakt hatte.
»Ich bin sicher«, sagte er ernst, »ich finde eine angemessene Möglichkeit für dich, deine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Gerade heute ist mir aufgefallen, dass die Böden in der Bibliothek anfangen, ein bisschen Staub anzusetzen.«
Aralorn würdigte seinen Vorschlag mit einem unmissverständlichen Schnaufen und ging etwas schneller, um mit ihm Schritt halten zu können. Er bemerkte es und verlangsamte seinen Gang, sodass sie mit ihren kurzen Beinen mitkam.
So trotteten sie eine Weile in behaglichem Schweigen nebeneinander her, bis Wolf plötzlich abrupt stehenblieb und mit den Fingern schnippte.
»Jetzt weiß ich wieder, wo ich diese Geschichte über den Lehrling, der seinen Meister getötet hat, gelesen hab. Ich werd ein paar Tage brauchen, um das Buch zu beschaffen. Sag Myr, dass ich unterwegs bin, um einem Hinweis zu folgen. Ich denke nicht, dass bis zu meiner Rückkehr irgendetwas passiert, womit du nicht ohne mich zurechtkommen würdest.« Er machte ein paar Schritte von ihr weg, doch dann drehte er sich noch einmal um. »Geh nicht ohne mich in die Bibliothek, ich würde lieber ein paar Tage Arbeit verlieren, als dich in einen Stein verwandelt zu sehen, falls du das
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