Arams Sündenbabel
tot ist, was uns auch tot erscheint. Daran sollten Sie immer denken.«
Ich hatte zugehört und nickte auch zustimmend. Trotzdem fragte ich: »Können Sie sich vorstellen, Mrs. Mädel, dass mir Ihre Erklärungen nicht weit genug gegangen sind?«
»Das kann ich.«
»Sie wollen gewisse Dinge nicht präzisieren?«
»Nein, Mr. Sinclair, auf keinen Fall. Ich habe Ihnen eigentlich gesagt, was gesagt werden musste. Durch Janine weiß ich, dass Sie ein besonderer Mann sind...«
»Ach, hören Sie auf.«
»Doch, doch. Ich kenne Janine. Wir haben hin und wieder Kontakt, und der ist sehr intensiv. Sie würden mir doch auch zustimmen, dass Janine Helder eine besondere Frau ist – oder?«
»Ganz und gar.«
»Eben.« Sie nickte. »Ich habe immer nach jemand gesucht, der dieses von mir erwähnte Sündenbabel endgültig zerstören kann. Ich rechnete damit, dass es sich verflüchtigen würde, wenn ich das Zentrum verlasse. Das aber ist nicht geschehen. Es existiert noch weiterhin, und es wird sich immer mehr ausbreiten. Es hat neue Kraft geschöpft. Das habe ich bereits feststellen können.«
»Gut, Mrs. Mädel, sie haben mich überzeugt. Jetzt möchte ich von Ihnen nur noch erfahren, wo ich das von Ihnen erwähnte Sündenbabel finde. Dann können wir etwas dagegen unternehmen.«
Ich hörte sie leise lachen. »Wir, Mr. Sinclair? Nein, nicht wir. Sie allein.«
»Oh, damit hätte ich nicht gerechnet.«
»Ich bin zu schwach.«
»Soll ich Ihnen das glauben?«
Meinen leichten Spott überhörte sie. »Ja, Mr. Sinclair, das müssen Sie mir sogar glauben. Ich hätte Sie ja sonst nicht geholt, verstehen Sie mich?«
»Natürlich. Ich kann es nur nicht nachvollziehen.«
»Das ist mir wiederum klar. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich meine Gründe habe.«
Das glaubte ich ihr ohne weiteres. Auch Janine Helder hatte ihre Gründe gehabt, mich zu alarmieren und für dieses Treffen zwischen uns zu sorgen. Nicht Martina Mädel war mir suspekt, sondern das, was sie so überzeugend gesagt hatte. Sie glaubte, dass einige Tote nicht tot waren, sondern keine Ruhe fanden, um richtig in das Jenseits einzugehen.
Mir war das nicht neu, aber es gab bei diesem Thema, wie auch bei vielen anderen, immer wieder Variationen. Ich hätte gern mehr gewusst, doch Martina sprach nicht mehr. Sie tat etwas anderes, hob ihren rechten Arm und streichelte mit ihrer kühlen Hand meine Wange.
»Ich wünsche Ihnen nur das Beste. Viel Glück. Möge der Himmel Sie immer beschützen.«
Es waren ihre letzten Worte, denn zwei Sekunden später drehte sie sich von mir ab und ging weg.
Verdutzt schaute ich ihr nach. Im ersten Moment wollte ich ihr nachlaufen, dachte dann an ihre Worte, und mir war klar, dass sie alles gesagt hatte und nichts mehr hinzufügen würde. Für sie war der Fall damit erledigt.
Sie ging langsam.
Nicht schwerfällig, mehr leichtfüßig, als würde sie den Boden nicht berühren, so dass unter ihren Schuhsohlen die Dunstschwaden hergleiten konnten.
Martina schritt in den Nebel hinein. In dieses graue Gespenst, das weder einen Anfang noch ein Ende aufwies. Es war die graue Welt, in der sie immer schwächer zu sehen war und plötzlich verschwand.
Ich schüttelte den Kopf.
So dicht war der Nebel nicht, als dass ich sie schon nach diesen wenigen Metern nicht mehr gesehen hätte.
Ich wollte es genau wissen, lief in ihre Richtung, mindestens doppelt so schnell, und ich hätte sie jetzt auch sehen, wenn nicht einholen müssen, doch Martina Mädel blieb verschwunden. Ihr Körper musste sich aufgelöst haben und ebenfalls zu Nebelschwaden geworden sein.
Verblüfft blieb ich wieder stehen und schüttelte den Kopf. Was war das nur für eine Frau? Sie gab mir Rätsel auf, aber ich hatte nicht von ihr geträumt, sondern mit ihr geredet. Genau das war das Problem für mich. Mit wem hatte ich denn gesprochen? Mit einer normalen Frau oder mit einer, die, um es behutsam auszudrücken, nicht normal war? Eine, die ein Sündenbabel gesehen hatte, in dem es Tote gab, die wohl nicht tot waren. Sie hatte mich praktisch dazu aufgefordert, dieses Sündenbabel zu besuchen und es zu zerstören.
Meine Gedanken kreisten, ohne jedoch ein konkretes Ziel zu finden, und Martina war nicht mehr da, um helfen zu können. Möglicherweise wäre sie auch nicht dazu bereit gewesen.
»Das ist ein Ding«, murmelte ich und schüttelte den Kopf.
Eine Person, die auf der anderen Seite stand, konnte die Frau nicht gewesen sein, denn sonst hätte sich mein Kreuz schon
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