Arbeit - Leben - Glueck

wurde gebraucht. Viele Familien hatten drei oder mehr Kinder, und keiner konnte sich damals vorstellen, dass das jemals anders sein würde. Heute jedoch haben viele Paare gar keine Kinder oder nur eins oder zwei. Gleichzeitig leben die Menschen länger, so dass jetzt viele Alte von immer weniger Jungen versorgt werden müssen. Das führt irgendwann zum Zusammenbruch des Rentensystems, so dass man heute zunehmend fordert, das Alter durch private Vorsorge zusätzlich abzusichern. Auch bei der Krankenversicherung ist angedacht, sie von den Löhnen und Gehältern abzukoppeln.
     
    Trotz aller sozialen Sicherheit sind die Einkommensunterschiede in Deutschland relativ groß. Der niedrigste Tariflohn |102| liegt zurzeit bei rund neun Euro. Der Betrag kann aber von Arbeitgebern, die an keinen Tarifvertrag gebunden sind, jederzeit unterboten werden, denn einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht.
    Wenig verdienen in unserer Gesellschaft ausgerechnet die Menschen, deren Arbeit für unser Gemeinwesen unverzichtbar ist, also etwa Altenpfleger, Polizisten und Müllmänner. Ihre Gehälter sind   – gemessen an dem, was ein Artdirector oder ein Lebensmittelchemiker verdienen   – sehr niedrig. Wie kann das sein? Jeder weiß doch, wie schlimm es ist, wenn der Müll nicht abgeholt wird, die Kranken nicht gepflegt werden und keiner nach dem Rechten sieht. Und niemand würde sich andererseits groß darüber aufregen, wenn es plötzlich keine Werbung oder keine Tütensuppen mehr gäbe.
    Der Hauptgrund für diese Einkommensunterschiede liegt darin, dass der Artdirector und der Lebensmittelchemiker für die Wirtschaft arbeiten. Sie erwirtschaften Gewinne, während Altenpfleger, Polizisten und Müllmänner »nur« die Lebensqualität steigern. Ihre Einkommen werden aus Steuermitteln finanziert, also aus dem, was wir als Volk zusammen erwirtschaften. Da diese Mittel begrenzt sind und oft nicht ausreichen, muss der Staat Schulden machen, um das Geld aufzubringen. Während also der Artdirector und der Lebensmittelchemiker ihre Firmen in die Gewinnzone bringen, führen Müllmänner, Polizisten und Altenpfleger ins volkswirtschaftliche Minus.
    Wir leisten sie uns trotzdem, sparen aber bei den Einkommen, wo es nur geht. Darüber hinaus ist unser Gemeinwesen dringend und wegen steigender Staatsschulden jedes Jahr mehr auf Leute angewiesen, die für noch weniger Geld oder sogar unentgeltlich arbeiten: im freiwilligen sozialen Jahr, im Zivildienst oder im Ehrenamt.
    Die nebenstehende Grafik zeigt, wie viel Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland wie viel verdienen.

    Arbeitnehmer-Einkommen in Deutschland 2003
    Dargestellt sind personenbezogene Einkommen aus unselbstständiger Arbeit. Alle Angaben in Prozent. Quelle: Soioökonomisches Panel 2003 in Zusammenarbeit mit der Professur für empirische Sozialforschung, Universität Bamberg.
    |104| Für die meisten Berufsgruppen gelten die Tariflöhne, die von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt werden. Sie ergeben sich aus dem Tarifvertrag, an dem sich zurzeit aber nur noch rund 60   Prozent der deutschen Unternehmen orientieren. Nur die Besoldung von Beamten und der Bundesangestelltentarif (BAT) sind bundes- oder auch landesweit einheitlich geregelt.
    Zunehmend handeln Betriebsrat und Betriebsleitung einen nur für ihre Firma geltenden Haustarif aus. In wirtschaftlich guten Zeiten zahlen viele Unternehmen über Tarif, um die besten Mitarbeiter für sich zu gewinnen. In wirtschaftlich schlechten Zeiten versuchen sie, die Tariflöhne zu unterschreiten. Niedrigere Löhne helfen dann, ein Unternehmen konkurrenzfähig zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. Lange Zeit sperrten sich die Gewerkschaften gegen Sondervereinbarungen dieser Art. Ging ein Betrieb zugrunde, nahmen ihre Vertreter dies als sinnvolle »Marktbereinigung« hin. Inzwischen wird jedoch immer klarer, dass Arbeit ein äußerst kostbares Gut ist. Wir brauchen Arbeit, und wir brauchen Arbeitgeber, die ihre Unternehmen in diesem Land betreiben wollen. Es ist im Bewusstsein vieler Menschen mittlerweile wichtiger geworden, Arbeitsplätze zu erhalten, statt Forderungen zu stellen, die Arbeitsplätze gefährden.
    Führungskräfte, Experten und hoch qualifizierte Fachkräfte werden außertariflich bezahlt. Sie führen eigene Gehaltsverhandlungen. Es hängt von vielen Faktoren ab, was für sie dabei herausspringt: Qualifikation, Alter und Verhandlungsgeschick spielen eine Rolle, aber auch Größe, Prestige und wirtschaftlicher