Arbeit - Leben - Glueck
wohnen. Als die Kunden hören, dass die Filiale geschlossen werden soll, sind sie empört. Wo sollen sie jetzt einkaufen? Der nächste Supermarkt ist nur mit dem Auto zu erreichen oder mit dem Bus, aber man muss zweimal umsteigen. Und davon ganz abgesehen: Wo sollen sie zusammenkommen, um auch mal ein kleines Schwätzchen zu halten? Und wo sollen einige von ihnen etwas anschreiben lassen, wenn am Monatsende die Rente knapp wird oder das Haushaltsgeld alle ist?
Der Ärger über die Schließung der Filiale wird noch größer, als sich herumspricht, wer die Ladenräume übernehmen soll: ein Drogeriemarkt mit Videoshop. Obwohl es zwei Straßen weiter schon einen gibt. Einige Frauen tun sich zusammen und legen bei der Stadt Protest gegen die Schließung des für sie so wichtigen Lebensmittelgeschäfts ein. Der Stadtrat wird auf das Problem aufmerksam und interessiert sich dafür. Dann hat Hannah eine Idee: Sie könnte ihrem Arbeitgeber die Filiale doch einfach abkaufen und das Geschäft in eigener Regie weiterführen. Anfangs zögert der Konzern, denn einen solchen Fall hat es noch nie gegeben. Doch dann stimmt die Geschäftsleitung dem Plan zu. Der Haken an der Sache ist: Hannah hat kein Geld.
Als die Kunden von der Idee hören, kommt es zu einer beispiellosen Aktion: Zusammen mit der Stadt entwickeln sie ein Finanzierungskonzept für Hannah. Kunden, die Ersparnisse haben, die Stadt und eine mittelstandsfreundliche Bank stellen ihr das Geld zur Verfügung. Seitdem ist sie selbstständig. Für Hannah und ihre Tochter wirft der kleine Laden genug ab. Sie können pünktlich ihren Kredit zurückzahlen, gut von ihren Einkünften leben und sogar noch eine Verkäuferin einstellen.
|123| In Europa gibt es eine ganze Region, die so funktioniert wie das obige Beispiel: mit kleinen Betrieben, die ihre Umgebung mit Produkten und Dienstleistungen versorgen. Es gibt kaum Arbeitslose, ein reiches Kulturleben, welches die Kommunen selbst finanzieren, ebenso wie ein lokales System der sozialen Sicherheit. Diese Region heißt »Die Marken«. In welchem Land liegen die Marken? Wie könnte man die wirtschaftlichen und kulturellen Merkmale dieser Region beschreiben?
Im nächsten Kapitel »Mit Arbeit leben« geht es ebenfalls um mehr Lebensqualität. Jedoch auf einer anderen Ebene: Im Privatleben. Viele müssen darum kämpfen, überhaupt eines zu haben. Für sie ist es entscheidend, zwischen Arbeit und Freizeit eine gute Balance zu finden, also weder zu viel noch zu wenig zu tun.
|124| Mit Arbeit leben
Wer arbeitet, kann in dieser Zeit nichts anderes machen. Alles, was der Mensch sonst noch braucht oder tun möchte, muss er in seiner Freizeit erledigen: Freunde besuchen, einen Film sehen, die Wohnung aufräumen, mit seinen Kindern spielen, Ferien machen, morgens lange schlafen. All diesen Interessen steht die Arbeit entgegen: Hohe Leistungsbereitschaft und berufliches Engagement lassen für das Privatleben oft kaum Zeit.
Viele Angestellte, aber vor allem viele Selbstständige und kleine Unternehmer haben keinen geregelten Feierabend, arbeiten auch am Wochenende und verzichten auf ihren Urlaub. Ob Ausbeutung durch einen Unternehmer oder Selbstausbeutung im eigenen Betrieb: Zu viel Arbeit schadet der Gesundheit. Für alle, die heute schon überlastet sind, kann es nur ein Ziel geben: weniger Arbeit und mehr freie Zeit.
Kleine Geschichte der Freizeit
Endlich Feierabend, endlich Wochenende, endlich Urlaub, endlich Ruhestand: Viele Menschen können ihre freie Zeit kaum erwarten. Denn nur dann können sie tun und lassen, was ihnen gerade einfällt: etwas Gutes kochen, ein Bild malen, Musik hören, Sport treiben oder sich einfach nur ausruhen und entspannen.
Freizeit ist aber nicht nur ein Selbstzweck, sondern sie dient auch dazu, unsere Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Täglich brauchen wir arbeitsfreie Phasen, um uns von |125| der Arbeit zu erholen. Auch Wochenende und Urlaub helfen uns, Abstand zu gewinnen und danach mit neuer Kraft ans Werk zu gehen. Schon früh wurde der Wert der Freizeit – wenigstens in der Theorie – erkannt: so von dem römischen Schriftsteller Fronto, der 168 n. Chr. mit Kaiser Mark Aurel, dessen Truppen gerade die Parther besiegt hatten, an den italienischen Küstenort Alsium fuhr. Dort sollte sich der Kaiser für einige Wochen von den Strapazen des Kriegführens und Regierens erholen. Während der Kaiser sich Gedanken über das Weltgeschehen und die Unbeständigkeit des Daseins machte, schrieb
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