Arbeit - Leben - Glueck
keine Zeit. Sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt. Entsage aller unnützen Tätigkeit.« Und auch Johannes Calvin, einem protestantischen Theologen. Seine Anhänger |134| waren die ersten Christen, die aus Arbeit und materiellem Erfolg eine Religion machten. Calvin forderte von ihnen die »aktive Hinwendung zur Welt in rastloser Tätigkeit«. Calvinisten arbeiteten viel und häuften Geld an, durften es aber nicht ausgeben. Sie lebten asketisch und gönnten sich nichts.
Diese Einstellung schafft noch keine Arbeitssucht, begünstigt sie aber. Um jedoch wirklich arbeitssüchtig zu werden, braucht man vor allem einen Chef, der einem ständig auf die Schulter klopft und »weiter so« sagt oder: »Ich weiß ja, dass Sie bis über beide Ohren in Arbeit stecken, aber können Sie nicht das hier noch dazwischenschieben, es ist wirklich nur eine Kleinigkeit«. Hinzukommen müssen brennender Ehrgeiz und die Unfähigkeit, Nein zu sagen.
Arbeitssüchtige nehmen ihre Arbeit mit nach Hause, mit ins Bett, mit ins Wochenende und mit in den Urlaub. Sie lesen heimlich in den Umkleidekabinen von Schwimmbädern Akten, obwohl sie eigentlich mit ihren Kindern spielen sollen. Sie haben Schwierigkeiten, Aufgaben an andere zu übertragen, und halten sich für unentbehrlich. Arbeitssüchtige sehnen den Zeitpunkt herbei, an dem endlich alle Arbeit getan ist, doch die Arbeit wird niemals fertig. Kaum ist eine Aufgabe erledigt, liegt schon die nächste bereit. Langsam verlieren sie den Kontakt zur Welt: zu ihrer Familie, ihren Freunden, ihrem früheren Leben. Sie ignorieren Erschöpfungsgefühle und beuten ihren Körper rücksichtslos aus. Wenn sie Nichtstun verordnet bekommen, halten sie das kaum aus. Sie haben Entzugserscheinungen, so als wäre Arbeit tatsächlich eine Droge.
»Just say no« – dieses Motto aus einer amerikanischen Anti-Drogen-Kampagne kann man versuchsweise auch auf die Arbeit anwenden. Das dient der Gesundheit, dem Wohlbefinden und später dann dem Familienleben. Darum geht es im nächsten Abschnitt.
|135| Arbeit und Familie
Im Jahr 2003 lebten in Deutschland rund 20 Millionen verheiratete Paare. Etwa die Hälfte davon hatte Kinder, die andere Hälfte (noch) nicht. Rund 3 Millionen Mütter und Väter erziehen ihre Kinder allein und es gibt etwa 2 Millionen nichteheliche Lebensgemeinschaften. Die Ehe ist also die noch immer am weitesten verbreitete Form des Zusammenlebens, ob mit oder ohne Kinder. Doch gerade die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird mehr und mehr zum Problem. Viele Frauen bleiben nicht mehr automatisch zu Hause, wenn Kinder da sind. Sie wollen einen Beruf haben und arbeiten gehen.
Trotz aller Gleichberechtigung sind Frauen, was das Berufsleben angeht, schlechter gestellt als Männer. Sie verdienen weniger und machen meist nur dann Karriere, wenn sie auf Kinder verzichten. Viele Frauen, die eine gute Ausbildung haben und für qualifizierte Jobs infrage kommen, bleiben deshalb kinderlos. Experten schätzen, dass rund 40 Prozent der Akademikerinnen eines Jahrgangs sich dafür entscheiden. Hinzu kommt, dass Frauen immer stärker in typische Karriereberufe drängen. So stehen die Wirtschaftswissenschaften seit einigen Jahren auf Platz 1 der beliebtesten Studiengänge der Frauen, dicht gefolgt von den Rechtswissenschaften auf Platz 3. Das wird die Zahl derer, die auf Kinder verzichten, noch weiter in die Höhe treiben – bis sich die Rahmenbedingungen ändern.
Und was stimmt an denen nicht? So gut wie alles. Zunächst einmal stehen Frauen, die versuchen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, permanent unter Zeitdruck. Ihr Leben ist total verplant, und oft leiden sie unter einem schlechten Gewissen, weil sie sich nicht so viel um ihre Kinder kümmern können, wie sie gern möchten. Berufstätige Mütter arbeiten meist nur halbtags, viele von ihnen |136| verrichten eher einfache Tätigkeiten: im Büro, in der Verwaltung, an der Supermarktkasse. Jemand, der nur halbtags arbeitet, kann in Deutschland keine Karriere machen. Deshalb trifft zurzeit Folgendes auf die meisten Frauen und Männer zu:
Frauen, die Karriere machen wollen, verzichten auf Kinder.
Frauen, die einen Kinderwunsch haben, verzichten auf die Karriere.
Männer, die der Familie wegen halbtags arbeiten, sind die Ausnahme.
Frauen, die der Familie wegen halbtags arbeiten, sind die Regel.
Wenn Kinder da sind und trotzdem beide Partner voll berufstätig sein wollen: Wer kümmert sich um die Kinder? Ein
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