Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
Feierabend zuverlässig verfügbar sein sollen, mittlerweile auf die Tiefkühloption zurück. Das vom Kunden wahrgenommene Qualitätsniveau liegt zwischen dem ultrabilligen Backstraßenbrot und dem handgemachten Bäckerprodukt, aber nah genug an letzterem, so daß oft der deutliche Preisunterschied den Ausschlag gibt. Das Bäckerhandwerk als Handarbeit und mit seinen kleinen Stückzahlen kann nicht mehr mithalten, auch wenn wohl fast jeder aus Qualitätsgesichtspunkten ihm den Vorzug gäbe, wenn Preis, Auswahl und Verfügbarkeit bis zum Feierabend nicht eine so große Rolle für die Kunden spielten.
Der Kontrast vom Teiglingaufblaser zum noch nahezu handwerklichen Backen wie etwa bei der Berliner Bäckerei Märkisch Landbrot könnte nicht größer sein. Der Betrieb stellt ausschließlich Bioprodukte mit dem Demeter-Gütesiegel her, dem am schwierigsten zu erlangenden und aufwendigsten Bio-Label. Es gibt in den Broten keine Zusatzstoffe und keine Rohstoffe, die nicht gemäß dem Gütesiegel angebaut werden. Außerdem wird noch ein Holzbackofen betrieben – darauf ist man stolz. Zwischen sieben- und neuntausend Brote werden hier jeden Tag gebacken, jedes einzelne auf Bestellung. Das Geschäftsprinzip der Lieferbäckerei beruht auch darauf, daß nicht nur Bioläden, Kindertagesstätten, Schulen und andere Vertriebsstellen beliefert werden, sondern ebenso Großkunden direkt.
Das Biobrotsegment funktioniert praktisch als Parallelwelt zur sonstigen Backindustrie. Die Demeter-zertifizierten Biobauern bekommen das Dreifache des üblichen Marktpreises für konventionelles Getreide, was sich aber erstaunlicherweise nur marginal auf den Endpreis von Brot und Brötchen für die Kunden auswirkt. Die größten Kostenanteile bleiben Energie und die menschliche Arbeitskraft – der Biobäcker zahlt seinen Mitarbeitern einen überdurchschnittlich guten Lohn.
Zwanzig Bäcker arbeiten bei Märkisch Landbrot, siebenundzwanzig weitere Angestellte kümmern sich um den Zutateneinkauf und Brotverkauf, die Instandhaltung der Anlagen und um Auslieferung und Kommissionierung. Damit sich der Brotpreis für die ohnehin preislich eher im Luxussegment angesiedelten Biobrote nicht noch drastischer vom konventionellen Segment entfernt und außerdem das überdurchschnittliche Wachstum im Biosegment bewältigt werden kann, setzen aber auch die Biopuristen unter den Berliner Bäckern auf Computerhilfe. Die hauseigenen Mühlen mahlen zwar altväterlich noch mit runden Mühlsteinen, die sich in Holzgestellen drehen, so daß bei niedrigeren Temperaturen gemahlen wird. Die Kontrolle der Mühlen übernimmt jedoch eine moderne Steueranlage wie in den großen Industriemühlen auch. Die modernen Backöfen sind digital gesteuert, ebenso wie die Waagen für die Rezeptzusammenstellung.
Vor der Auslieferung des fertigen Brotes muß es kommissioniert, das heißt, die richtige Anzahl der verschiedenen bestellten Brote für die einzelnen Kunden muß in Rollwagen zusammengestellt werden. Für die aufwendige Sortierung und Zuordnung wird eine computerisierte Hilfe hinzugezogen. Ein System aus dem holländischen Blumenhandel wurde dafür adaptiert, das aus kleinen Displays über jedem Regal besteht, auf denen der Kunde und die Vollständigkeit der Lieferung angezeigt werden. Wenn eine Brotsorte in der Backstube fertig wird – bedingt durch die Ofenkapazitäten meist immer nur eine Sorte statt mehrerer gleichzeitig –, gibt der Kommissionierer die dazugehörige Produktnummer ein. Über allen Rollwagen leuchtet dann auf den Displays, wie viele Brote dieser Sorte jeweils hineingelegt werden müssen. Die Zeitersparnis, Produktivitätssteigerung, vor allem aber Fehlerreduktion dieser recht simplen Einrichtung ist erheblich – dreißig Prozent mehr Auslieferungen sind mit der gleichen Mannschaft möglich.
Der Biobrotbereich macht, auf die ganze Backindustrie betrachtet, nur einen kleinen Prozentsatz des Volumens aus. Die Umwälzung durch die Teiglingaufbäcker krempelt die gesamte Branche in einer Weise um, die sogar die Gewinner der vorherigen Technologiewelle, die maschinellen Großbäckereien, zu Verlierern zu machen scheint. Es sind also nicht nur Innovationen bei Computern und Maschinen, die zu drastischen Änderungen von Arbeitsbildern und zum Aussterben ganzer Berufsstände führen können, sondern auch solche aus eher unerwarteten Bereichen wie der Biotechnologie, deren neue Enzyme und Zusatzstoffe es erst möglich machen, ein wie handwerklich hergestellt
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