Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
Bäckereien wandern die Brotlaibe und Kastenbrotformen mit Teig per Hand in die Öfen, oft mit Hilfe von Rollwagen mit zwanzig oder mehr Auflagen, auf denen jeweils vier oder fünf Formen oder Laibe pro Etage liegen. Die Etagenöfen sind heute in der Regel mit digitalen Regelsystemen und Sensoren versehen, die in voreingestellten Abläufen die Temperatur für jeweils eine bestimmte Zeit anfahren und hal ten – je nachdem, was nötig ist, um das Brot gut durchzubacken und die gewünschte Krume und Kruste zu erreichen.
Die Backstraßen der Industriebäckereien lösen das Problem der notwendigen Temperaturabfolgen hingegen anders: Entlang einem Förderband, das mehrere Meter breit sein kann, reihen sich Öfen mit verschiedenen Temperatureinstellungen aneinander, die den Teig auf dem Band erhitzen. Die Geschwindigkeit des Förderbandes bestimmt, wie lange ein Brot in welcher Temperaturzone bleibt. Der Teig für Brötchen und Laibbrote wird in solchen Anlagen direkt auf das Förderband dosiert, notwendige Gehzeiten werden durch entsprechende Verweildauer in lauwarmen Temperaturzonen der Backstraße realisiert – und durch hochgezüchtete Hefen, Enzymmischungen und Emulgatoren kurz gehalten. Andere industrielle Backsysteme verwenden Öfen, bei denen riesige Backbleche unten vom Förderband eingefahren werden und dann im Ofen langsam nach oben wandern, um anschließend die oben angekommenen fertigen Bleche automatisch hinauszutransportieren und von unten neue in das Förderband einzuschieben. Putzmaschinen erledigen zwischendurch automatisch die Reinigung der Backbleche.
Mit der alten Kulturtechnik des Backens nur noch sehr entfernt verwandt ist der Zuschnitt der sogenannten Mehlchemie bei den Broten und Brötchen, die nicht mehr in einer Bäckerei oder Backstraße gebacken werden, sondern in einem »Backshop« oder in Tankstellen. Das Prinzip beruht auf der Trennung des Teigmachens vom Backen, denn fertiggebacken werden die sogenannten »Teiglinge« erst direkt am Verkaufsort in Heißluftöfen. Die unfertigen Backprodukte werden entweder als Rohteig oder nur ganz kurz angebacken tiefgefroren und über die verschlungenen Wege der Lkw-Logistik zu den Heißluftöfen verteilt.
Die Produktionsorte dieser gefrorenen Rohlinge sind nicht selten in Osteuropa, weil die dortigen niedrigen Arbeitskosten gerade für Produkte, für die es noch keine gutfunktionierenden Maschinen gibt, etwa für das Legen von Brezen, von entscheidender Bedeutung sind. Die dortigen Teiglingfabriken sind exakt so weit automatisiert, daß Menschen wirklich lediglich noch da arbeiten, wo Maschinen bisher zu teuer wären.
Im Backshop selbst werden die Teiglinge nur noch aus den Anlieferkisten geholt und in den elektrischen Ladenbackofen gelegt. Die Temperaturregelung für das Auftauen und Fertigbacken übernimmt die digitale Steuerung des Ofens. Das Bedienpersonal benötigt keine Ausbildung in Aspekten des Backhandwerks mehr, sondern muß bloß noch das auf der Verpackung oder in der Anleitung vorgeschriebene Backprogramm auswählen. Den fortgeschrittensten dieser Aufblasofenmodelle hält man lediglich den Barcode des zu backenden Produktes vor den integrierten Scanner. Der Ofen wählt das korrekte Backprogramm dann automatisch aus, so daß auch noch die fast letzte menschliche Fehlerquelle eliminiert wird.
Die Anzahl der Backshops hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Voraussetzung dafür, daß dieses Prinzip so gut funktioniert, waren große Innovationen bei den Enzymen und Zusatzstoffen, die dafür sorgen, daß auch im Aufblasofen am Bahnhof noch ein attraktiv aussehendes und riechendes Baguettebrötchen aus dem tiefgefrorenen Teigling entsteht. Dieser Entwicklung ist es auch zu verdanken, daß die gesamte Branche gerade große Umwälzungen durchläuft.
Die kleinen Kiezbäcker hatten bis vor einigen Jahren Vorteile gegenüber den riesigen industriellen Backstraßen, da deren relativ gesichtslose Massenbilligware zwar konkurrenzlos niedrige Preise hatte, aber geschmacklich und auch sonst deutlich weniger attraktiv war. Konnten sich die kleinen Bäcker bislang noch einigermaßen behaupten, hat mit der Verbreitung von Backshops das große Bäckersterben eingesetzt. Ein Grund dafür ist die enorme Vielfalt an verschiedenen Produkten, die mittlerweile auch bei der Tiefkühl-Aufbackmethode angeboten wird.
Selbst große Kettenbäcker, die über Dutzende Filialen verfügen, greifen bei seltener nachgefragten Waren oder bei Sorten, die bis zum
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